Jedenfalls treibt die kleinbürgerliche Auseinandersetzung um Verbote aller Art bereits seltsamste Blüten. So wird derzeit im Kanton Bern (wo ein weitreichendes Werbeverbot in Kraft getreten ist) ernsthaft darüber diskutiert, ob Frau Meier und Herr Müller künftig noch ihren alten Sonnenschirm mit der Bierwerbung auf den Balkon stellen dürfen. Im vergangenen Sommer wurde auf der Höhe der Feinstaub-Hysterie nicht minder ernsthaft ein landesweites Cheminéefeuer-Verbot erwogen. In einigen Städten wird künftig verzeigt, wer unachtsam einen Zigarettenstummel oder einen Kaugummi wegwirft, und in Basel kann bereits gebüsst werden, wer sich zu lange in einem Parkhaus aufhält. Die SBB wollen ihre Lokomotivführer zwecks Drogenprävention zum Urintest antraben lassen. Gefischt werden darf in Schweizer Gewässern künftig nur noch mit besonderer Fachausbildung, und sich als «liberal» bezeichnende Parteien diskutieren längst schon über Strassenzölle, Schuluniformen, Minarett- und Kruzifixverbote.
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Man kommt nicht zur Freiheit, indem man alles verbietet, was sie gefährdet. In einer liberalen Gesellschaft muss es erlaubt sein, Fehler zu begehen - sich zu schaden, Sportunfälle zu riskieren, krank zu werden, süchtig, faul, dick, hässlich oder dumm zu sein. So darf auch beim Rauchen der staatliche Schutz nicht auf die Verhinderung der Selbstschädigung abzielen, und die Nichtraucher soll der Staat nur dort schützen, wo sich diese nicht mit vertretbarem Aufwand selber schützen können.
«Im Freien bleibt das Rauchen gestattet», liess unlängst die Berner Kantonsregierung verlauten. Muss man bereits davon ausgehen, dass grundsätzlich als verboten gilt, was nicht ausdrücklich erlaubt wird? Wir sollten diesen Trend zur obrigkeitlichen Kontrolle des individuellen Verhaltens nicht mutwillig fördern, sonst droht tatsächlich der Kindermädchenstaat.
"Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch", heißt es bei Hölderlin. Und so wird es nunmehr selbst der ansonsten "sedativliberalen" Saar-FDP zu bunt - sie wehrt sich mit einer unterstützungswürdigen Anti-Verbote-Kampagne gegen die immer unverschämteren staatlichen Anschläge auf die Privatautonomie und das Selbstbestimmungsrecht der Bürger.
Liberale kennen ihren Mises und erkennen zugleich - wieder einmal - die Zeichen der Zeit:
„Die Neigung unserer Zeitgenossen, obrigkeitliche Verbote zu fordern, sobald ihnen etwas nicht gefällt, und die Bereitwilligkeit, sich solchen Verboten selbst dann zu unterwerfen, wenn sie mit ihrem Inhalt durchaus nicht einverstanden sind, zeigt, daß der Knechtsinn ihnen noch tief in den Knochen steckt. Es wird langer Jahre der Selbsterziehung bedürfen, bis aus dem Untertan der Bürger geworden sein wird. Ein freier Mensch muß es ertragen können, daß seine Mitmenschen anders handeln und anders leben, als er es für richtig hält, und muß es sich abgewöhnen, sobald ihm etwas nicht gefällt, nach der Polizei zu rufen.“
Ludwig von Mises, 1927