Wednesday, June 20, 2007

Nahost: Zeit für einen libertären Paradigmenwechsel?

»Die meisten Araber sind Opfer ihrer Unkenntnis von Demokratie. Sie wissen, was falsch ist, und sie wissen, was wahr ist, aber sie haben Angst vor ihren Führern. Das ist der Grund für ihr irrationales Verhalten. Die Angst ist der Grund ihres Leidens.«

Nein, diese Aussage stammt nicht, wie jetzt einige Leser vermuten werden, von einem bösen Achsen-Blogger, sondern von Majed Khattab, aus einer Reportage in der Zeit. Khattab ist Muslim, 40 Jahre alt, israelischer Staatsbürger. Er hat einen israelischen Universitätsabschluss als Arabist, betreibt aber eine eigene Baufirma in der Nähe von Tel Aviv.

Irgendwie schon komisch, das Ganze. Sonst muß man Libertäre eigentlich nicht erst davon überzeugen, daß jeder Mensch die eigene Obrigkeit am allermeisten zu fürchten hat. Im Falle der Araber scheint man da eine Ausnahme zu machen: an deren Schicksal sind eigentlich immer die Israelis und die Amerikaner schuld.

Daß libertäre "Anti-Interventionisten" zur permanenten Einmischung des Irans in arabisch-israelische Angelegenheiten nie ein Wort verlieren, läßt zumindest Zweifel an ihrer Wahrnehmungsfähigkeit aufkommen. Aber haben wir es hier nur mit einer getrübten Sichtweise zu tun?

Seit Wochen laufen inzwischen Bilder von innerpalästinensischen Gemetzeln über den Äther, doch die sonst stets bei Nahost-Schießereien einsetzende ritualisierte Empörung, die eingeübte Wut-und-Trauer-Rhetorik mit vorgestanzten Sprachschablonen - auch in den gift-und-galle-geschwollenen libertären Diskussionsforen, - bleiben merkwürdigerweise aus. "Erkläret mir, Graf Oerindur, diesen Zwiespalt der Natur". Nun, offenkundig, weil Israel nicht an dem Konflikt beteiligt ist. Da läßt das gefühlig-menschelnde Interesse am Leiden palästinensischer Kinder schlagartig nach, wenn sie nicht durch IDF-Salven, sondern im Kugelhagel ihrer "Befreier" von der Hamas oder deren Kontrahenten von der zwar weniger gewaltbereiten aber nicht minder korrupten Fatah verletzt oder getötet werden.


Böten die palästinensischen Selbstzerfleischungsexzesse nicht selbst hartgesottensten Israel-, USA-, und überhaupt-Kritikern eine Gelegenheit, ein historisches Mitverschulden der arabisch-palästinensischen Seite an ihrer jahrzehntewährenden Misere zumindest einmal, rein hypothetisch versteht sich, in Betracht zu ziehen? Oder gar - horribile dictu - das libertäre Verständnis des Nahost-Konfliktes einer gründlichen Revision zu unterziehen? Und die eigene Einstellung zu Israel zu überprüfen? Na, wir wollen nicht zuviel verlangen.

Dabei kann es gerade den deutschsprachigen Exponenten des Libertarianism nicht schaden, noch einmal ein paar unfrisierte Gedanken, die Michael Kastner, der als erster zu diesem Fragenkomplex einen von ideologischen Glaubenssätzen und Ressentiments unverstellten Blick auf die Wirklichkeit unternommen hat, vor einem Jahr formuliert hat, im Lichte der jüngsten Ereignisse zu reflektieren. Es könnte durchaus ein Erkenntnisgewinn damit verbunden sein. Und vielleicht darüber hinaus auch ein Ende unsäglicher, das eigene intellektuelle Erbe verhöhnender Assoziationen!


P.S.: Ist es nicht äußerst bemerkenswert, daß inzwischen Tausende von Arabern aus dem Gaza-Streifen aufgebrochen sind, um sich im gelobten Land unter jüdische Oberhoheit und damit zugleich in Sicherheit zu bringen? Und daß die, die nicht wegkönnen, sich die israelische Besetzung zurückwünschen? Der jüdische Staat als letzte Zufluchtsstätte derer, die, ausweislich der letzten Wahlergebnisse in Hamastan, seine Vernichtung herbeisehnten? Das_ist_Ironie der Geschichte!



4 comments:

Matt Jenny said...

Oh, mit all diesen interessanten Links muss ich mir diesen Beitrag gleich bookmarken. :)

Ganz generell aber: Ich bin mir nicht so sicher, ob das Ausbleiben libertärer Reaktionen auf die aktuelle Verschärfung der Lage in Palästina ausschliesslich auf einen verkappten libertären Antisemitismus bzw. Antizionismus zurückzuführen ist, wie Du es, wenn ich Dich richtig verstehe, implizit suggerierst. Könnte es nicht vielmehr sein, dass dahinter ein Rassismus steckt, der gegen die Palästinenser bzw. Muslime im allgemeinen gerichtet ist?

Folgende Einstellung herrscht vielleicht bei nicht wenigen Leuten vor: Die US-Amerikaner und die Israelis "gehören zu uns", zum "Westen" und sollten somit für rationale Argumente empfänglich sein. Wenn die also Mist bauen, lohnt es sich möglicherweise, sich dazu zu äussern. "Die Muslime" sind aber alles wilde, die sowieso gänzlich anders ticken als "wir". Wenn die sich gegenseitig verschiessen, oder wenn ein Ahmadinedschad wieder Blödsinn anstellt, dann muss das an der beim Mulsim inhärenten Minderwertigkeit liegen. Somit lohnt es sich bei diesen auch nicht, sich einzumischen, weil die ja sowieso tun, was ihre irrationalen Geister wollen. (Falls das jetzt nicht deutlich genug hinüberkommen sollte: Nein, ich vertrete diese Ansicht(en) nicht.)

Noch viel genereller: Hier (pdf) ist ein Artikel von Murray Rothbard zum Nahostkonflikt aus dem Jahre 1967, in dem er, wenn überhaupt, Stellung für die Palästinenser bezieht.

Dominik Hennig said...

Vielen Dank!

Ja, diesen Gedanken hat glaube ich sogar schon mal Broder geäußert: Man behandelt die Palis wie kleine Kinder oder wie Autisten. Bösartige Menschenliebe hätte Edmund Burke dieses Verhalten wohl bezeichnet.

In Rothbard's Nachlaß finden sich tatsächlich Sätze wie: "Rothbard replies to Nozick's criticism that he, Rothbard, is more anti-Zionist than Sadat."

Scheint schon eine libertäre Marotte zu sein, sich auf Israel einzuschießen.

Eine unschöne. Und leider nicht die einzige.

Möglicherweise rührt die Anti-Einwanderungs-Welle (und die im Freiheitsforum und anderswo zu beobachtende Anti-Homo-Welle) eines Teils der Libertären ja aus der gleichen Schwäche der Liberalen/Libertären wie der oft völlig überzogene (und gelegentlich ins Antisemitische/Verschwörungstheoretische überkippende) Antizionismus: der Überanpassung an den jeweils gewählten Kooperationspartner. Das Israel-Bashing kommt noch aus der Zeit, als man den linken Allianzpartnern gefallen wollte, die Homophobie und die Xenophobie hingegen sind Resultate der - ebenso gescheiterten - “Paläo”-Strategie der frühen 90er, als man mit den Buchananites flirtete. In beiden Fällen sind Imageschäden und Identitätsverluste die Folge gewesen. Vielleicht sollten’s die Libertären einfach mal auf sich allein gestellt versuchen. Aber ohne ihre tschekistisch veranlagten Spinner, die in dezisionistischer Manier jeden Nicht-Hundertprozentigen als einen Feind denunzieren.

Einige deutsche Libertäre kopieren derweil eifrig das sehr ranzig gewordene Paläo-Modell aus den USA; die haben anscheinend den letzten Schuß nicht gehört.

Oliver Luksic said...

Anti-israelische Stimmen und Strömungen gibt es in allen großen Denkrichtungen, von rechts bis links.

Ich verweise auch mal an die Bemerkung des Zentralrates zur neuen Linken/ex-SED!

"Die Linke hat Blut an den Händen"
http://oliver-luksic.blogspot.com/

schwul-und-liberal said...

Da werden einige libertäre Antizionisten aba ganzschön Schaum vorm Mund kriegen! Und Du bei eifrei Schreibverbot auf Lebenszeit! ;-)