Thursday, June 28, 2007

Die Flucht vor der Freiheit

Passend zur aufgeregten Neoliberalismus-Debatte dieser Tage fiel mir im Antiquariat ein Buch mit dem Titel "Die Flucht vor der Freiheit" von Otto Veit in die Hände, welches der mit Wilhelm Röpke befreundete neoliberale Nationalökonom im Nachkriegsjahr 1947 verfaßt hatte.

Ähnlich wie José Ortega y Gasset, auf den sich Veit mehrfach bezieht, ist auch für ihn die allgemeine Tendenz zur "Vermassung" eine der Hauptursachen tragischer geschichtlicher Entwicklungen seiner Zeit.

Er beschreibt auch, wie nach den roten und braunen Machtergreifungen die Verwandlung der vordem relativ freien europäischen Gesellschaften in der Periode zwischen den beiden Weltkriegen in totalitär-kollektivistische Zwangsgesellschaften vonstatten geht:

„Als Verräter an der Sache der Gemeinschaft wird verfolgt, wer am Freiheitsideal festhält. Als schimpflich oder verächtlich gilt, was einstmals schlechthin menschenwürdig war.“

Und auch diese Mahnung klingt wieder so aktuell wie lange nicht:

„Nicht ist – wie der zeitnahe Beobachter anzunehmen geneigt war – der Verzicht auf die freie Selbstbestimmung Folge der kollektivistischen Bindungen; sondern umgekehrt: der Kollektivismus ist Folge des Verzichts.“

Dieser Verzicht ist zu einem beträchtlichen Teil auch auf ein Versagen jener soziologischen Schichten - das unternehmerische Bürgertum - zurückzuführen, auf deren Freiheitsliebe der Liberalismus in Deutschland trotz einschlägiger historischer Erfahrungen auch heute noch all seine Hoffnungen setzt.

„Indem das Auf und Ab der Konjunkturen sich verschärft, wachsen die Wagnisse, die der industrielle Unternehmer auf sich zu nehmen hat. Er beginnt nach Möglichkeiten des Schutzes gegen solche Gefahren sich umzusehen. So kommt es zu Zusammenschlüssen in Kartellen und zu Hilfsgesuchen an den Staat. Die liberale Unternehmerphilosophie, die „Manchesterlehre“, die dem Staat jeden Eingriff in das Spiel der wirtschaftlichen Kräfte verwehren will, wird nur so lange wörtlich genommen, als man sie für das eigene Interesse gebrauchen kann. Mit Forderungen nach Schutzzöllen, Kartellschutz und anderen Subventionen wird die Hilfe des Staates herbeigerufen, den man in den Anfängen der Technik in engste Grenzen verwiesen hatte.“

Veit konstatiert eine im 19.Jahrhundert einsetzende Spaltung des Bürgertums in Citoyens und Bourgeoise. Diese entstünde dadurch,

„daß ein Teil der Unternehmerschaft den liberalen Grundideen, denen das Bürgertum seine Existenz verdankt, allmählich untreu wird. […] Die Verschärfung der wirtschaftlichen Wechsellagen vergrößert das unternehmerische Risiko. Der Unternehmer sucht Zuflucht im Kartell oder in der Intervention des Staates. Kaum sind die Reste des alten Merkantilsystems überwunden, so entwickelt sich unter der Oberfläche des liberalen Systems der „Neomerkantilismus“.

Diese Entwicklung hat bedeutsame soziologische Folgen. Diejenigen Kreise, die das Interesse an der freien Marktwirtschaft verlieren, verlieren auch die Verbundenheit mit den liberalen Grundideen. Es sind dies im wesentlichen Kreise um die Großindustrie und den Bergbau. Hier bildet sich allmählich eine großbürgerliche Ideologie heraus, die sich mehr und mehr von der des bürgerlichen Mittelstandes abhebt. So entsteht als neue soziale Schicht die großindustrielle Bourgeoisie.“


Ludwig von Mises erkannte bereits in seiner Gemeinwirtschaft von 1922 klar, daß man eine besondere Affinität des Unternehmers zu liberalen Ideen, auch wenn von sozialistischer Seite oft unterstellt, keineswegs als prinzipiell gegeben annehmen könne.

«Die Unternehmer haben ein Interesse daran, sich zusammenzuschließen, um in Lohnverhandlungen mit der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterschaft einheitlich vorgehen zu können. Sie haben ein Interesse daran, sich zusammenzuschließen, um Zoll- und andere Beschränkungen, die mit dem Wesen und dem Prinzip des Liberalismus in schroffem Gegensatz stehen, durchzusetzen oder ähnliche Eingriffe, die ihnen schaden könnten, abzuwehren. Aber sie haben gar kein besonderes Interesse daran, den Sozialismus und die Sozialisierung als solche und damit den Destruktionismus zu bekämpfen. Das Wesen des Unternehmers verlangt es, daß er sich immer den jeweiligen Bedingungen der Wirtschaft anpaßt. Nicht den Sozialismus zu bekämpfen, sondern sich den durch die zum Sozialismus hinstrebende Politik geschaffenen Bedingungen anzupassen, ist es, was der Unternehmer anstrebt. Niemals kann man von den Unternehmern oder von irgendeiner anderen besonderen Gruppe der Bevölkerung erwarten, daß sie aus Sonderinteresse irgendein allgemeines Prinzip der Wohlfahrt zu ihrer eigenen Maxime machen. Die Notwendigkeit, in die sie das Leben hineinstellt, zwingt sie, sich mit den gegebenen Verhältnissen abzufinden und aus ihnen das zu machen, was möglich ist. Es ist nicht Sache des Unternehmers, den politischen Kampf gegen den Sozialismus zu führen; er trachtet, sich und sein Unternehmen den durch die auf Sozialismus hinzielenden Maßnahmen geschaffenen Verhältnissen derart anzupassen, daß für sein Unternehmen unter den gegebenen Verhältnissen der größten Gewinn herausgeschlagen werden kann.

Darum sind denn auch die Vereinigungen von Unternehmern oder solche Organisationen, bei denen die Unterstützung der Unternehmer irgendwelche Rolle spielt, nicht geneigt, grundsätzlich den Kampf gegen den Sozialismus durchzuführen. Der Unternehmer, der Mann, der den Augenblick ergreift, hat wenig Interesse für die Austragung eines säkularen Kampfes. Ihm kommt es darauf an, sich den augenblicklichen Verhältnissen anzupassen. Die Organisation der Unternehmer hat immer nur unmittelbare Abwehr einzelner Übergriffe der Arbeiterverbände zum Ziel, sie bekämpft etwa auch noch einzelne Maßnahmen der Gesetzgebung, wie zum Beispiel einzelne Steuervorlagen; sie erfüllt überdies alle jene Aufgaben, die ihr von der Gesetzgebung und Verwaltung dort übertragen werden, wo, um der destruktionistischen Arbeiterbewegung einen Einfluß auf die Wirtschaft zu geben, die organisierte Unternehmerschaft mit der organisierten Arbeiterschaft zusammenzuwirken hat. Den grundsätzlichen Kampf für die Beibehaltung der auf dem Sondereigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Wirtschaftsverfassung zu führen, liegt ihr fern. Sie steht dem Liberalismus ganz gleichgültig gegenüber, wenn sie ihn nicht überhaupt, zum Beispiel in der Zollpolitik, offen bekämpft.»


Der Liberalismus ist eben, entgegen des hierzulande gepflegten Vorurteils, doch eine Geisteshaltung, keine Frage des Einkommens. Und bei den Deutschen - quer durch alle sozialen Schichten - gleichermaßen verpönt, wovon die neuerlichen "Beck-Messereien" um den "Neoliberalismus" nur ein weiteres Mal trauriges Zeugnis ablegen.


2 comments:

Anonymous said...

schönes mises-zitat! :-)

Anonymous said...

Die CDU ist neoliberal!
Selten habe ich so gelacht. Sie ist seit ihrer Gründung eine zutiefst sozialdemokratische, mit neonationalistischen Ansätzen, freiheitsverachtende Partei. Eine rühmliche Ausnahme ihrer Parteiengeschichte stellt die Ära Ludwig Erhardt dar.

LG
Daniel

PS: Du hast leider Recht. Es gibt kaum Hofnung, dass sich in absehbarer Zeit das Meinungsklima zu Gunsten der Freiheit in Deutschland ändert.