Mit der Revolution und der parallelen Geburt des Nationalismus kam es zu einem Zusammenfallen der Interessen des Staates und der Nation, die diese Umwälzungen erst umsetzbar machte – das revolutionäre Frankreich war der erste Staat, der die per Nationalismus und Ideale instrumentalisierten Massen vorsätzlich für seine Zwecke mobilisiert hatte.
Die Einführung der Wehrpflicht ist geradezu ein Paradebeispiel dafür, wie Etatismus seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten gemäß immer funktioniert:
Der Einführung einer allgemeinen Wehrpflicht war eine lange Debatte vorangegangen, in der die Pros und Contras abgewogen wurden; so würden zwangsrekrutierte Soldaten als Arbeitskräfte auf den Feldern fehlen und es bestand die Möglichkeit der Desertierung. Es war aber vor allem die Auflösung des Widerspruchs, dermaßen in die Selbstbestimmung der Bürger einzugreifen, denen die Revolution doch den berühmten Slogan „liberté, egalité, fraternité“ gebracht hatte, der den Apologeten einer Volksarmee Kopfzerbrechen bereitete. Der jakobinische Militärtheoretiker Dubois Crancé verkündete bereits 1789 in der Nationalversammlung das Weg bereitende Diktum, dass in der postrevolutionären Gesellschaft jeder Bürger zugleich Soldat und jeder Soldat zugleich Bürger sein müsse, wolle sie die Werte der Revolution verteidigen. Der Grundstein für die spätere Einführung der Wehrpflicht war damit gelegt. Es war, wie so oft in der Geschichte, eine Notsituation, die der Staat im Grunde genommen selbst herbeigeführt hatte, die zu der extremen Beschneidung der Grundfreiheiten führte. Denn Frankreich sollte eigentlich ein pazifistischer Staat sein – so wurde in der Verfassung von 1791 der Grundsatz aufgenommen, dass die französische Nation darauf verzichtet, jeglichen Krieg im Hinblick auf Eroberungen zu führen, und dass sie niemals Truppen gegen die Freiheit irgendeines Volkes einsetzen würde. In der Praxis war Frankreich jedoch weit davon entfernt, diesem Prinzip zu entsprechen.
Noch immer ist der Leviathan um keine wohlfeile Rechtfertigungslyrik verlegen, wenn es darum geht, bei seinen Bürgern die Bereitschaft zu wecken, für ihn zu töten und zu sterben:
Ein geschichtliches Beispiel für die Aushebelung von Verfassungsprinzipien mit semantischen Tricks, die wir auch heute finden, wenn bei Angriffskriegen (Irak 2003 etwa, der absurderweise als „Operation Iraqi Freedom“ betitelt wurde) die Rede davon ist, Freiheit und Demokratie zu exportieren. Im Namen der Freiheit Krieg zu führen ist im Lichte der französischen Revolution nichts neues, sondern vielmehr einn auch heute noch ein willkommener Grund, die mittelalterliche Doktrin vom „ius ad bellum“, vom „gerechten Krieg“, wiederaufleben zu lassen.
Und so wird der westlichen "Zivilisation" dieser faschistoide Schandfleck wohl noch eine ganze Weile erhalten bleiben, (wenn nicht wider Erwarten doch noch der libertäre Sklavenaufstand irgendwann die Verhältnisse zum Tanzen bringt). Dem Resümee des Autors ist jedenfalls uneingeschränkt zuzustimmen:
Mit den gewandelten Kriegsformen dieser Tage im Anschluss an die Erfahrung zweier Weltkriege ist die allgemeine Wehrpflicht vorerst obsolet geworden. Heute werden durch Industriestaaten geführte Kriege zumeist durch das ihren Bürgern weggenommene Geld finanziert, nicht mehr durch die physische Zur-Verfügung-Stellung ihrer Leiber. Manchmal verschlafen Staaten schlicht die Entwicklung, etwa wenn Deutschland oder Österreich diese Entwicklung weg von Massenheeren hin zu spezialisierten, professionalisierten und vor allen Dingen kleineren Militärapparaten geflissentlich verpasst. Eine Wirkung der Wehrpflicht könnte allerdings auch sein, dass sich junge Männer in dieser Zeit zum ersten Mal der Härte der staatlichen Hand bewusst werden und ein kritisches Bewusstsein hinsichtlich der Obrigkeit entwickeln; erdreistet diese sich doch, ungefragt über einen längeren Zeitraum Besitz an ihnen zu nehmen als wären sie Sklaven.Doch die Erfahrung zeigt, dass das menschliche Gedächtnis dazu neigt, negativen Erlebnissen in der Retrospektive ihren Schrecken zu nehmen. Und so kanzeln viele ihre Zeit beim Militär, so sinnlos, qualvoll und mühsam sie auch gewesen sein mag, als „Erfahrung“ ab und vergessen, dass sie trotz der vorgeblichen Zivilisation und offiziellen Abschaffung der Sklaverei einen Zeitraum ihres Lebens nichts wesentlich anderes waren. Es ist übrigens im Lichte dieser nicht von der Hand zu weisenden Ähnlichkeit von Sklaverei und Zwangs-Militärdienst (euphemistisch als Wehrpflicht bezeichnet) nicht verwunderlich, dass der Militärdienst vom Verbot der Zwangsarbeit in der Europäischen Menschenrechtskonvention explizit ausgenommen ist.