Thursday, October 11, 2007

Imperium Europa, da capo

Zu dieser leidigen Debatte einiger spin doctors aus dem Hause Springer hat sich jetzt auch Roger Köppel zu Wort gemeldet. Sein Statement ist im besten Sinne schweizerisch - und erzliberal:

Joschka Fischers Europa. In einem Essay für den Tages-Anzeiger fordern der frühere deutsche Aussenminister Fischer und ein paar Kollegen, Europa müsse endlich «Muskeln zeigen». Der in zwei Weltkriegen militärisch ruinierte Kontinent soll sein ökonomisches Gewicht in strategische Macht ummünzen. Eine in Brüssel koordinierte europäische Aussenpolitik habe die «Werte und Interessen Europas in der Welt» zu fördern. Skizziert wird die Aufrüstung der EU durch aussenpolitische Gewaltmittel, ein multilateraler Machttransfer von der nationalen auf die supranationale Stufe. Die Naivität erstaunt. Vor einigen Jahren sah Grossraumpolitiker Fischer seine europäischen Bundesstaatsambitionen scheitern. Jetzt hofft er offensichtlich auf das Amt des europäischen Aussenministers. Wie stellt man sich das Gebilde im Ernstfall vor? Hat der europäische Aussenminister die Kompetenz, Truppen zu entsenden? Könnte ein deutscher Politiker einer britischen Armee den Fronteinsatz befehlen? Wird die EU militärisch bündnisfähig? Kann sie am Ende eine europäische Wehrsteuer erheben? Fischers Vorstoss steht quer zur Wirklichkeit. An den Urnen scheiterte der Versuch, die EU per Verfassung mit staatsähnlichen Attributen zu versehen. Die Macht über Krieg und Frieden, über Wirtschaftssanktionen und Boykotte soll nun aber dennoch kommen. «Zu oft», heisst es, «vergeudet Europa seine potenzielle Stärke durch Nabelschauen und Uneinigkeit.» Grösse, Stärke, Macht: Global-Denker Fischer schliesst an unheiligste europäische Traditionen an. Vor 60 Jahren endete der letzte Versuch einer zwanghaften Reichswerdung in einem Blutbad. Jetzt darf unter neuen Vorzeichen wieder geträumt werden. Das Friedensprojekt Europa wird heimgesucht von alten, dunklen Fantasien. Hat da jemand Grössenwahn gesagt?

Fischers Europa, Nachtrag. Die Schweiz war einst eine europäische Grossmacht. Zu Beginn des 16. Jahrhunderts glaubte der Florentiner Strategie-Experte Machiavelli, die Eidgenossen seien stark genug, Italien zu erobern. Die Grossmachtallüren endeten vor Mailand in der Schlacht von Marignano. Die Eidgenossen unterlagen. Der Untergang war total und heilsam. Die Schweiz gab ihre aussenpolitischen Ambitionen auf. Sie entwickelte im Umgang mit der Welt das Ethos einer früh globalisierten Privatbank. Man ist überall dabei, nirgends wirklich drin und hält sich alle Türen offen. Das drückte auf die nationale Sehnsucht nach Grösse, aber es machte uns reich und ungefährlich. Nicht die alte römische Reichsidee sollte die europäischen Geo-Fantastiker beflügeln. Eine europäische Magna Helvetia wäre erfolgreicher.

Roger Köppel, Tagebuch, Weltwoche Nr. 40.07

Köppel hält übrigens zum Thema "Europa - quo vadis?" am Mittwoch, 24. Oktober in Zürich beim Liberalen Gesprächskreis ein Impulsreferat.

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