Friday, October 19, 2007

Mit Kreon gegen Antigone

In Erich Eycks dreibändigem Klassiker "Bismarck. Leben und Werk" (Zürich, 1944) wird auch auf die stringent liberale Haltung Eugen Richters zum "Kulturkampf" hingewiesen und wie sehr der große Linksliberale Richter sich schon damals mit seiner prinzipienfesten Einstellung in scharfen Gegensatz zur Mehrheit des parteipolitisch organisierten Liberalismus brachte. Auf Seite 91 von Band 3 heißt es:

„Die Fortschrittspartei war gespalten; von der von Virchow geführten Mehrheit sonderte sich öfters eine Minderheit ab, die wie Eugen Richter die Sorge für die Aufrechterhaltung des gleichen Rechts dem Kampf gegen den Klerikalismus überordnete.“

Auf Seite 93 resümiert er nüchtern:

„So hat der Kulturkampf, der ihm zunächst einen so stolzen parteipolitischen Aufschwung brachte, letzten Endes zur inneren Entkräftung und Verarmung des Liberalismus geführt. Das war um so verhängnisvoller, als er gleichzeitig durch die geschichtliche Entwicklung gezwungen wurde, in immer stärkerem Maße mit dem Militärstaat zu paktieren und darüber konstitutionelle Prinzipien zu opfern. Das Ironische ist, daß die Nationalliberalen, an denen sich dieser Prozeß vollzog, sich noch ihrer Befreiung vom „Doktrinarismus“ rühmten. In Wahrheit verschleierten sie sich dadurch nur die Einsicht in ihr eigenes Verhängnis.“


Ein Verhängnis freilich, das wohl in der DNA liberaler Parteien steckt, die im Laufe der Zeit immer mehr Partei und immer weniger liberal zu werden sich genötigt sehen.

So nimmt Eyck bereits die kommende Entwicklung vorweg, wenn er auf S. 133 ff. die Lage der Liberalen, die ihre Seele der Macht verkauft haben, analysiert:

„Und doch hatten die Liberalen, die mit ihm [Bismarck] in den Kulturkampf hineingegangen waren und sich von seinem Ungestüm weiter hatten fortreißen lassen, als viele ursprünglich gewollt hatten, wesentlich Schlimmeres zu beklagen als eine politische Niederlage: den Verlust ihres guten Gewissens und ihres unbescholtenen politischen Namens. Zu wie vielen Maßnahmen hatten sie sich hergegeben, die im tiefsten Grunde illiberal waren, die gegen die Grundgedanken der Rechtsgleichheit und Gewissensfreiheit verstießen und nach jener Lehre von der staatlichen Omnipotenz schmeckten, die das Gegenteil des echten Liberalismus ist. Was einem einzelnen Staatsmann vielleicht gelingt, ist einer Partei unmöglich. Prinzipien-Verrat muß sich bitter rächen. Denn wenn sie mehr sein will, als eine Interessen- oder Klassenpartei, lebt sie von der Überzeugung ihrer Anhänger, daß es ihr mit ihrem Programm und Bekenntnis ernst ist. Lujo Brentano, der Katholik und gleichzeitig ein aufrichtiger Liberaler war und gerade deshalb die kulturkämpferische Verblendung des Liberalismus aufs schärfste verdammte, erzählt voller Entrüstung, wie dem Freiherrn von Mallinckrodt, der sich auf Antigones unsterbliche Worte berief, ein Liberaler entgegnete: „Dafür hat Kreon sie auch ins Gefängnis gesetzt.“ In der Tat, ein Liberalismus, der es mit Kreon gegen Antigone hält, versündigt sich an seinem eigenen Lebensprinzip und gräbt sich selbst das Grab.“