Monday, February 05, 2007
Eugen Richter
Die Sozialdemokratischen Zukunftsbilder des entschiedensten Liberalen der Kaiserzeit, des Reichtsagsabgeordneten Eugen Richter, sind nun neu editiert mit einer exzellenten Einführung von Detmar Doering bei edition eigentümlich frei erschienen. Eine äußerst lohnende, manchmal ob ihrer prophetischen Vorausschau beklommen machende Lektüre, die all jenen Freunden in die Hände zu wünschen ist, die an einer gründlichen Revision der Geschichte des deutschen Liberalismus interessiert sind.
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2 comments:
Antares (liberty.li) schreibt über Eugen Richter:
Eugen Richter wurde am 30. Juli 1838 in Düsseldorf geboren. Von seinem Vater, einem Regimentsarzt des preußischen Heeres, erhielt er eine fundierte liberale Erziehung. Er besuchte das Gymnasium in Koblenz und studierte Jura in Bonn und Heidelberg; dort hörte er bei dem berühmten Nationalökonomen Karl Heinrich Rau.
Bereits in seinen Studienjahren betätigte er sich journalistisch und verkehrte in den freihändlerischen und konsumgenossenschaftlichen Kreisen um John Prince-Smith und Hermann Schulze-Delitzsch; er nahm auch an Sitzungen des Kongresses deutscher Volkswirte teil. Während dieser Zeit eignete sich Richter umfangreiches ökonomisches und finanzpolitisches Wissen an, das ihm in den späteren detailstreich geführten Budgetauseinandersetzungen zu gute kommen sollte.
Eine Beamtenkarriere im konservativen Preußen wurde ihm wegen seiner offen liberalen Gesinnung (er setzte sich für Gewerbefreiheit und gegen Parteienkorruption ein) so stark erschwert, dass er sich nach einem Zwischenspiel als Versicherungsangestellter in Berlin niederließ, um dort schriftstellerisch und alsbald auch politisch tätig zu werden. Den Höhepunkt des Preußischen Verfassungskonflikts sah er bereits als begeisterter Anhänger der liberalen Fortschrittspartei, nachdem sich die Nationalliberalen als Unterstützer der Politik Otto von Bismarcks abgespalten hatten. 1867 zog er in den Konstituierenden Reichstag des Norddeutschen Bundes, 1869 ins Preußische Abgeordnetenhaus und 1871 in den Reichstag des Deutschen Reiches ein. Er übernahm alsbald die Führung der Fortschrittspartei (1875) und ihrer Nachfolgerinnen, der Deutschen Freisinnigen Partei (1884) und der Freisinnigen Volkspartei (1893). Seine politische Tätigkeit hinderte ihn nicht, journalistisch ebenso eifrig der liberalen Sache zu dienen, unter anderem indem er 1885 - 1904 die "Freisinnige Zeitung" herausgab.
Neben dem Konservativen Ludwig Windthorst und dem Sozialdemokraten August Bebel wurde Richter zum erbittertsten Opponenten des Reichskanzlers Bismarck und dessen Machtpolitik. Als einer der wenigen Liberalen verurteilte er den Kulturkampf, mit dem Bismarck die "ultramontane" katholische Kirche in Preußen brechen wollte. Damit wandte Richter sich vom traditionellen etatistischen Antiklerikalismus der Liberalen ab, zugunsten der Auffassung, Staat und Kirche hätten getrennt zu sein und keinerlei Einfluss aufeinander auszuüben. Ebenso lehnte er die Sozialistengesetze als Missbrauch der staatlichen Gewalt und als "bloße Bekämpfung von Ideen" ab und setzte sich parlamentarisch dagegen ein, obwohl die Liberalen seit jeher in scharfem Gegensatz zur Sozialdemokratie standen. So trat Richter bereits seit den 1860er Jahren gegen die wirtschafts- und sozialpolitischen Forderungen der Sozialdemokraten auf und setzte den politischen Kampf als Reichstagsabgeordneter unermüdlich fort. 1890 veröffentlichte er "Die Irrlehren der Sozialdemokratie", 1891 die Schrift "Sozialdemokratische Zukunftsbilder", die, in zwölf Sprachen übersetzt, zu einem bemerkenswerten Verkaufserfolg wurde. "Frei nach Bebel" schilderte er anhand eines Familienschicksals mit überraschender Hellsichtigkeit, wie die Einführung des Sozialismus in einem deutschen Zukunftsstaat Not und Verderben bringen musste.
Überzeugt davon, dass Handelsbeschränkungen durch die Verteuerung der lebensnotwendigen Güter gerade den kleinen Leuten schadeten, wandte sich Richter energisch gegen die von Bismarck 1878/79 zugunsten einer kleinen Gruppe von Industriellen und Großgrundbesitzern initiierte Schutzzollpolitik und warb politisch und publizistisch für den Freihandel. Genauso griff er die neuen Sozialgesetze und die Zwangsversicherungen an, die Industriearbeiter (auch auf Kosten der noch ärmeren unorganisierten Landarbeiter) aus politischen Gründen einseitig bevorzugten, jedoch deren gewachsene Selbsthilfestrukturen zerstörten und schließlich der ruinösen wohlfahrtsstaatlichen Interventionspolitik und den Verteilungskämpfen der folgenden Jahrzehnte den Weg ebnen sollten.
Richter, der berüchtigt dafür war, den Heeresetat buchstäblich bis zum letzten Kavalleriepferd zu durchleuchten, scheute auch nicht davor zurück, die prestigeträchtige wilhelminische Weltpolitik zu kritisieren. Er verdammte Kolonienerwerb und Flottenbau nicht nur aufgrund der immensen Kosten, für die der Steuerzahler aufkommen musste, sondern auch weil sie drohten, das Reich in einen gefährlichen Gegensatz zu den Kolonialmächten, insbesondere England zu bringen.
Mochten ihn seine Gegner auch als Doktrinär und Negativisten schmähen, sagt dies doch nur aus, dass er stets am reinen Liberalismus festhielt, antiliberale Gesetze bekämpfte und in der Parteipolitik als Oppositionsführer so wenig Kompromisse wie möglich schloss. Richter war der letzte liberale Politiker der Kaiserzeit; mit ihm ging der "entschiedene" Liberalismus in Deutschland zu Ende. Den Kampf gegen rechts und links, gegen Regierung und Sozialismus, gegen staatliche Anmaßung und revolutionäre Bedrohung, den die Liberalen während des gesamten Kaiserreiches führten, sollten sie letztlich zum endlosen Schaden Deutschlands und Europas verlieren.
Eugen Richter starb am 10. März 1906 in Lichterfelde bei Berlin.
Sozialistische Zukunftsbilder
02. Juni 2008 Das krachende Scheitern der sozialistischen Utopie kam 1989/1990 für manchen Sympathisanten überraschend. Dabei war der Niedergang des Sozialismus als Wirtschafts- und Gesellschaftssystem präzise vorausgesagt worden: 1920 vom österreichischen Ökonomen Ludwig von Mises und 1891 vom deutschen Politiker und Publizisten Eugen Richter. Die beiden haben dem Sozialismus den Totenschein ausgestellt, noch bevor er in der Praxis wirklich erprobt worden war. Beide Bücher, jetzt in Neuauflagen erschienen, waren hellseherisch, weil sie, einmal analytisch-wissenschaftlich, einmal literarisch, die Gründe des Scheiterns schonungslos darlegen.
Kurz nach dem Ersten Weltkrieg publizierte Mises den Aufsatz "Wirtschaftsrechnung im Sozialismus", der in das Buch "Die Gemeinwirtschaft" einging. Mises griff die These an, der Sozialismus werde "rationaler" sein als der "chaotische" Kapitalismus. Das sei falsch, denn ohne Privateigentum könne es keine Preise geben, welche die Knappheit der Ressourcen und Güter anzeigen. Somit tappe die Planungsbehörde im Dunkeln. Die Unmöglichkeit einer rationalen Wirtschaftsrechnung sei "das Grundproblem der Lehre vom Sozialismus". Fehlplanung sei systemimmanent.
Das Argument prägte eine ganze Generation liberaler Ökonomen. "Für keinen von uns, der das Buch las, konnte die Welt je wieder die gleiche sein wie vor der Lektüre", erinnerte sich Friedrich August von Hayek. Und Wilhelm Röpke sagte: "Ich wäre ein ganz anderer Typ Nationalökonom und Mensch geworden, wenn ich nicht zufällig auf das Buch ,Die Gemeinwirtschaft' gestoßen wäre." Noch Jahrzehnte später versuchten sozialistische Ökonomen, Mises' Argument zur Wirtschaftsrechnung zu widerlegen. Letztlich wurde es durch die Geschichte empirisch eindrucksvoll bestätigt. Ohne Übertreibung kann man "Die Gemeinwirtschaft" einen der wichtigsten ökonomisch-politischen Texte des zwanzigsten Jahrhunderts nennen.
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* Sozialdemokratische Zukunftsbilder von Richter, Eugen
Während Mises auf die "zermalmende Wirkung der wissenschaftlichen Kritik" setzte und mit ökonomischen, rechtsphilosophischen, soziologischen und historischen Argumenten den Diskurs der intellektuellen Elite zu verändern hoffte, hatte Eugen Richter mit seinem unterhaltsamen und bitterbösen Roman die Massen im Blick.
Die "Sozialdemokratischen Zukunftsbilder" erschienen 1891, als die SPD sich gerade ihr stramm marxistisches Erfurter Programm gegeben hatte. Richter, im Reichstag wortmächtiger liberaler Gegenspieler Bismarcks, hatte es mit diesem Büchlein auf Bebels ideologische Schriften abgesehen. Deren Visionen wandelte er in eine schwarze Utopie: eine von Not, Chaos und Gewalt bestimmte sozialistische Zukunft. Erzählt wird sie aus der Perspektive eines braven Buchbindermeisters und überzeugten Sozialdemokraten, der zunächst begeistert ist, als in Berlin die Revolution siegt und die rote Fahne über dem Reichstag flattert.
Die "Auferstehung des neuen Reiches der Brüderlichkeit und der allgemeinen Menschenliebe" sieht er kommen. Doch bald schon trübt sich die Freude. Auf die Verstaatlichung der Wirtschaftsbetriebe folgt eine allgemeine Arbeitspflicht, das Ende der freien Berufswahl. Hatte Bebel die "Emanzipation des Weibes" versprochen, so rückt bald die Verstaatlichung der Familien nahe. Kinder sind in Krippen abzuliefern, Alte kommen in Heime. Allen Werktätigen weist der Staat neue Wohnungen zu, die Mahlzeiten nehmen sie in riesigen Staatsküchen ein. In den Betrieben sinkt die Produktivität, der Lebensstandard fällt, es kommt zu Versorgungsengpässen.
Als der Strom der Auswanderer anschwillt, riegelt die Regierung das Land ab. "Die Grenzpatrouillen sind angewiesen, gegen Flüchtlinge von der Schusswaffe rücksichtslos Gebrauch zu machen" - ein Satz, der die DDR vorwegnimmt. Der Erzähler sieht die Schwächen des Systems: Man arbeite für eine abstrakte Gemeinschaft, doch seien die individuellen Anreize schwach. Allgemein verfällt die Wirtschaft: "Viele Milliarden an Werten hat die Umwälzung schon zerstört, Milliarden müssten weiter geopfert werden, um die jetzt vorhandene Desorganisation der Volkswirtschaft wieder zu beseitigen", schreibt der desillusionierte Erzähler.
Bis auf die Tatsache, dass die zuletzt ausbrechende Revolte der Bevölkerung das Regime gewaltsam zu stürzen versucht, hat Richter eine geradezu hellseherische Geschichte der DDR verfasst. Wie im Zeitraffer wird hier beschrieben, was sechzig bis hundert Jahre später eintrat. Sein Buch war damals äußerst populär und verkaufte sich in einer Auflage von knapp einer Viertelmillion. Wären Richters und Mises' Warnungen beachtet worden, hätte dies viel Leid erspart.
PHILIP PLICKERT
Buchtitel: Sozialdemokratische Zukunftsbilder
Buchautor: Richter, Eugen
Text: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.06.2008, Nr. 126 / Seite 12
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