Tuesday, February 06, 2007

Endstation Zuchthausstaat

Was bei der fortschreitenden Versozialdemokratisierung eines Gemeinwesens den Menschen blüht, beschreibt Gerd Habermann in seinem Standardwerk „Der Wohlfahrtsstaat. Die Geschichte eines Irrwegs“(Ullstein-Taschenbuchausgabe von 1997, auf Seite 206 ff.) anhand von Eugen Richters „Sozialdemokratischen Zukunftsbildern“ (beide Bücher sind im Grunde Pflichtlektüre für veritable Liberale!):

Dieses »Ende« in Form eines »Zuchthausstaates« malt dann Richter in seinen Sozialdemokratischen Zukunftsbildern (1891) aus – »frei nach Bebel« - In Form eines fiktiven Tagebuches schildert hier ein zunächst begeisterter Sozialdemokrat den Sieg der Revolution in Berlin und die anschließende Umgestaltung der Gesellschaft: Verstaatlichung, Auflösung der Familie, Herstellung sozialer Gleichheit, Organisation der Arbeit und des Konsums. Dies wird alles nicht abstrakt dargestellt, sondern in persönlichen Erlebnissen. Hinzu kommen Berichte aus dem Reichstag. Es ist dies eine Umsetzung der utopischen Schilderungen Bebels »Die Frau und der Sozialismus« in das praktische Alltagsleben. Wesentliches von dem, was Richter hier schildert, wurde später in den realsozialistischen Ländern bis ins Detail Wirklichkeit, besonders in der Epoche des sogenannten Kriegskommunismus in Rußland.

Man muß Richters konkrete Imagination bewundern. Der Zerfall der Arbeitsdisziplin, die Verknappung und schließliche Rationierung selbst der Grundnahrungsmittel, der Kapitalverzehr, die Schäbigkeit und Monotonie des Alltagslebens, der wachsende Terror, der Verlust auch der geistigen Freiheit, der Zerfall der sozialen Beziehungen – Bilder wie aus der gerade untergegangenen sozialistischen Welt, welche nur noch düsterer waren, als Richter sie hier mit viel Sarkasmus vorführt. So gibt es in diesen Zukunftsvisionen noch eine politische Opposition im Reichstag, die in Gestalt eines »Abgeordneten aus Hagen« - offenbar meint Richter sich damit selber – die Schlußbilanz des in Anarchie und Aufstand untergehenden Experimentes zieht.

Es lohnt sich, aus der Bilanz des fingierten oppositionellen Reichstagsredners einige Stellen zu zitieren: Deutschland starre jetzt von Soldaten und Polizeibeamten, alle Lebensverhältnisse werden vom Staat überwacht. Die mangels Eigeninteresse eingetretene Arbeitsunlust werde mit Wiedereinführung von Zwangsarbeit - »Sklavendienst« - bekämpft. Die Beseitigung der Unternehmer, die allgemeine Einführung des monopolistischen Großbetriebes habe die Produktivität heruntergebracht. »Ihren Betriebsleitern fehlt jedes eigene Interesse, fehlt die Aufstachelung, welche früher auch dort, wo Staatsbetriebe bestanden, die Konkurrenz der Privatbetriebe mit sich brachte … Wohin sind wir geraten? In dem Bestreben, die Nachteile der sozialdemokratischen Produktionsweise auszugleichen, kommen Sie zu Beschränkungen der persönlichen und wirtschaftlichen Freiheit, welche Deutschland nur noch als einziges großes Zuchthaus erscheinen lassen … Gleiche Arbeitszeit, zwangsweise Zuteilung zu bestimmten Arbeiten, dergleichen kannten wir früher nur in den Strafanstalten … der Küchenzettel in dieser Strafanstalt ist früher vielleicht besser, jedenfalls nicht schlechter gewesen.« Und diesem Zuchthaus sei man lebenslänglich ausgeliefert, entkommen sei nicht möglich (»Aufseher« und Kontrolleure an den Grenzen!). Was an Wissen- und Wirtschaftskapital noch vorhanden sei, sei nur ein Rest aus besseren Zeiten.

Auf der Grundlage dieser Gesellschaftsordnung sei nicht einmal die Bevölkerungszahl zu halten, sie müssevermindert werden. »Viele Milliarden an Werten hat die Umwälzung schon zerstört, Milliarden müßten weiter geopfert werden, um die jetzt vorhandene Desorganisation der Volkswirtschaft wieder zu beseitigen … Jeder Tag der Verzögerung in der Befreiung des Vaterlandes von dieser unseligen Verirrung der Geister führt uns dem Abgrund näher. Darum nieder mit dem sozialdemokratischen Zuchthausstaat, es lebe die Freiheit! « (Protokollvermerk: »Stürmischer Beifall auf der linken Seite und auf den Tribünen, lebhaftes Zischen und große Unruhe
auf der rechten Seite.« Mit der »linken« ist die liberale Seite gemeint). Immerhin gab es hier noch ein Parlament mit liberaler Opposition. Die systematische Liquidierung aller politischen Gegner durch den späteren »realen Sozialismus« vermochte sich Eugen Richter nicht vorzustellen.

Welche Partei steht heute in der Tradition dieses kompromißlosen Freiheitskämpfers? Die FDP etwa? Auf Seite 271f. stellt Habermann fest:


Es ist in der liberalen Programmatik bis heute ein Dualismus zwischen englisch-empirischen und französisch-rationalistischen Argumentationslinien feststellbar, der die Partei ständig mit Spaltungen bedroht. [Eugen] Richterscher Linksliberalismus gilt heute innerhalb der FDP eher als »rechts«.



1 comment:

John Dean said...

Was E. Richter beschreibt, ist ein totalitäres Schreckensgemälde - und sogar vor dem Hintergrund der damaligen Sozialdemokraten (die stark marxistisch orientiert waren) überzogen.

E.R. beschrieb nicht etwa unsere Gegenwart (die allenfalls aus radikal-rechtslibertärer Sichtweise als "sozialdemokratisch" durchgeht), denn diese unterscheidet sich vom angekündigten Totalitarismus allzu deutlich, sondern, und hier erstaunlich präzis, die Lebensumstände innerhalb des Realsozialismus.

Den Sozialstaat (zumal in einer effizient und humanitär organisierten Form) stets als antifreiheitlichen Dämonen zu malen:

Sorry: Langweilt das nicht irgendwann einmal?

Ich meine, die linksliberalen Grundfragen sind durchaus immer noch diese beiden:

a) Welcher Staat (und wie freiheitserhaltend wirkt dieser gegenüber den Bürgern)

b) Welcher Markt (und wie freiheitserhaltend wirkt dieser gegenüber den Bürgern)

Ich hoffe, meine Anmerkungen waren gerade noch so eben verkraftbar...

(...bei den sich selbst als Vorbildliberalen feiernden Rechtsliberalen bzw. Rechtslibertären bin ich bzw. unser Blog ja immerhin schon zum schlimmsten Feindbild geworden)