Wednesday, September 17, 2008

Souverän ist, wer über gouvernementale Zwangsneurosen den Ausnahmezustand bestimmt

Als eine der interessantesten freiheitlichen Publikationen im deutschsprachigen Raum haben sich die Schweizer Monatshefte unter Kennern längst einen ausgezeichneten Ruf erworben. In der August-Ausgabe fiel mir besonders eine Kolumne des grünen Zürcher Migrations-Politikers Balthasar Glättli auf, der in seiner Kolumne über „Politische Zwangs-Neurosen“ zu bemerkenswert tiefsinnigen Einsichten zum sich rasant ausbreitenden und sich spürbar verschärfenden, allgegenwärtigen Zwang in spätetatistischen Gesellschaften gelangt.


„Die Politik macht links wie rechts in ihrem blinden Vertrauen auf Verbote und Zwangsmassnahmen freilich nicht bei den Ausländerinnen und Ausländern halt. Die räumliche und zeitliche Einzonung des öffentlichen Raums gegen unerwünschtes Verhalten greift um sich. Auf Rayonverbote für Ausländer folgten solche für Punks, Drogenabhängige und Bettler. Dann jene für sogenannte Hooligans. Und unterdessen sind als nächste Randgruppe die Jugendlichen dran. Jedes Versagen der entsprechenden Zwangsdispositive ist gemäss einem wachsenden Konsens kein Versagen des Zwangs, sondern gerade umgekehrt das klare Zeichen dafür, dass die Zwangsmassnahmen ausgedehnt werden müssen. [...]


‚Der Ausnahmezustand ist normal geworden. Das Leben ist eine Zone’, schrieb der Journalist Michael Lütscher. Der Wunsch nach einem umfassenden gesellschaftlichen Ordnungsdispositiv ist wohl das aktuell am weitesten verbreitete kollektive Phantasma von Politikern linker wie rechter Couleur. War im Nachgang zu 9/11 noch vorab von der ‚Freiheit’ die Rede, die mit immer neuen Sicherheitsmassnahmen zu ihrem Schutze eingeschränkt werden müsse, so ist heute beunruhigenderweise der offene Zwang als Mittel zur Schaffung der gesellschaftlichen Ordnung im öffentlichen Raum wieder salonfähig geworden – gegen Rauchende wie Trinkende, gegen Langhaarige wie Glatzen.“


Wer hätte gedacht? Ein Grüner, der die Zeichen der Zeit erkannt hat und damit seinen neoliberalen Wettbewerbern im Ideenmarkt, die kulturkonservativ-staatstolerant den Leviathan in der Maske des wohlfahrtsspendenden Weihnachtsmannes erbittert bekämpfen, ihn aber ungeschoren davonkommen lassen, wenn nicht sogar ihm willfährig Gefolgschaft leisten, wenn er ihnen im Kostüm des Schwarzen Sheriffs oder olivgrünen Feldherrn gegenübertritt, in puncto Erkenntnisfähigkeit um Lichtjahre voraus ist?

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