Die zur Rechtfertigung dieses an den Turmbau zu Babel gemahnenden Giga-Projektes von der classe politique häufig gebrauchten, der Sphäre des Militärischen entliehenen Metaphern hätten eigentlich einer vergangenheitsbewältigungserprobten Linken alle Alarmglocken schrillen lassen müssen – doch statt höchst real heraufdämmernden Gefahren von Großmannssucht und transkontinentalem Großreichstreben entschieden zu begegnen, lieferte man sich auf der Linken lieber Scheingefechte mit der – überwiegend staatlich erzeugten – „kostümfaschistischen“ (Martin Walser) Chimäre des Rechtsextremismus. Während die herrschende Klasse Europas seit spätestens dem Fall der Berliner Mauer in aller Seelenruhe und unbehelligt von einer durch anderweitige Erregungszustände abgelenkte kritische Öffentlichkeit an einem „Imperium Europa“ bastelt, verloren sich die Sachwalter der Mühseligen und Beladenen in Gespensterjagden.
Auf den Kommandohöhen hält man es derweil jetzt für angelegen, dem Urnenpöbel (G. Schramm) die Marschroute für die nächsten hundert Jahre zu präsentieren, damit er weiß, wofür er nach Gott, Volk und Vaterland nun wieder zu bluten, zu schuften und zu zahlen hat. Als Sprachrohr der Kommandohöhen dienen sich vor allem jene an, die früher in exponiert rechten oder linken Gefilden zuhause waren. Ein besonders unangenehmes Exemplar glaubenseifrigen Konvertitentums ist der Publizist Eckhard Fuhr, der ehedem von der FAZ zur WELT wechselte. Noch in den 90ern salutierte er den „Zitelmännern“, einem neurechten Intellektuellen-Netzwerk im Umfeld von Springer-Presse und Ullstein-Verlag, die damals eine deutsch-nationale Renaissance in der „Berliner Republik“ beschworen, via Leitartikel, wobei er sich gar zur Formulierung verstieg, der damalige Vorsitzende des Zentralrats der Juden Ignaz Bubis habe mit seiner Kritik an Figuren wie dem parteiintern als "FDP-Deutschländerwürstchen" apostrophierten Ex-Generalbundesanwalt Alexander von Stahl „den geistigen Bürgerkrieg erklärt“ ("Überwunden, nicht befreit", FAZ vom 11.04.1995) .
Neuerdings verschreibt sich derselbe Fuhr, wie immer Straßenkreuzer fahrend und keinen fahrenden Zug verpassend, dem imperial-chauvinistischen Westlertum, wenn er in der Zeitschrift Cicero erklärt:
„Europa wird im 21. Jahrhundert die Tarnkappe des Universalismus abstreifen. Es ist zwar universalistischen Werten verpflichtet, aber die sind nicht ablösbar von seiner konkreten Gestalt. Die europäische Einigung ist die Erfolgsgeschichte eines friedlichen, demokratischen Imperialismus, dessen wichtigstes Machtmittel die Strahlkraft einer Idee und die Attraktivität einer Lebensform sind. Das Imperium Europa muss im 21. Jahrhundert zur Großmacht werden, weil die anderen Hauptakteure der Weltpolitik – Amerika, China, Russland, Indien – es auch sind. Auch im Blick auf diesen notwendigen Prozess neuerlicher Staatsbildung wird deutlich, dass die politische Moderne, die 1789 ins Leben trat, noch nicht ausgeschöpft ist. Das neue Jahrhundert wird das Jahrhundert eines langen Déjà-vu.“
Ein Déjà-vu-Erlebnis hat tatsächlich, wer sich durch dieses generalmobilmachungsgeile, zudem permanente Bedrohungsszenarien halluzinierende Zitierkartell der Neo-Imperialisten quält. Es sind die pathologischen Ideen von imperialer Größe und staatliche Allmachtsphantasien, die am Ende des 19. Jahrhunderts dem Liberalismus die Lebenslichter ausbliesen – und die GULag und Auschwitz erst möglich machten (und nicht etwa, wie der abgebrühte klerikalbolschewistische CDU-attac-Staazi-Demagoge Heiner Geißler einmal behauptete, der Pazifismus!)
Falls es wirklich, wie von Fuhr behauptet, eine universelle Tendenz zur Großmachtbildung gäbe (was aber in Kosovo, Osttimor, Tschetschenien, Kaschmir, Tibet und Taiwan alles andere als ausgemacht ist) wäre es das Vernünftigste, als Kleinstaat flexibel, weltoffen, neutral und friedfertig zu bleiben. Das etwa erklärt die Erfolgsgeschichte der Schweiz, die insoweit auch Vorbild sein könnte für eine längst überfällige sezessionistische Auflösung der Bundesrepublik in ihre Teilstaaten, evtl. im Rahmen einer lockeren Konföderation. Einen schicksalhaft unausweichlichen Geschichtsdeterminismus zum imperialen Prinzip gibt es jedenfalls nicht. Dem steht schon die historische Erfahrung des Niederganges ALLER historischen Großreiche entgegen. Europa muß nicht Großmacht sein, sondern ein Gegenmodell, das zeigt, daß die Welt ein Pluriversum sein kann und muß!
Andernfalls ist es wohl bloß noch eine Frage der Zeit, bis die europäischen Machthaber und ihre „embedded journalists“ Posener, Fuhr e tutti quanti uns zurufen:
„Wollt Ihr das totale Europa?“
2 comments:
"Friedlicher Imperialismus" klingt so vielsagend wie die "freiwillige Wehrpflicht" der SPD. Paradoxone scheinen in Mode zu kommen.
Den eigentlichen "Westlern" und Transatlantikern können diese Blaupausen von Posener und Fuhr aber gar nicht recht sein. Schließlich würde so ein "Imperium Europa" ja auch den "benevolenten Hegemon" Amerika herausfordern. Ein starkes, auch militärisch als Großmacht auftretendes Super-Europa forderte, soweit ich mich erinnern kann, bisher immer bloß Scholl-Latour.
Post a Comment