Monday, April 23, 2007

Déclinologie

So nennt man einen derzeit in Frankreich neu entstehenden Zweig der Gesellschaftswissenschaften - die Lehre vom Niedergang. Wer das aktuelle Weltwoche-Interview mit dem Wirtschaftsprofessor Charles Wyplosz über die französische Misere gelesen hat, ahnt, daß diese Disziplin eine große Zukunft haben dürfte - nicht nur in Frankreich. Einige Ausschnitte mögen dies verdeutlichen:



"In der Tat gibt es sehr viele Ähnlichkeiten zwischen dem Niedergang Englands in den sechziger und siebziger Jahren und der Lage Frankreichs heute. Wir wissen, wie Britannien aus der Krise herauskam, doch ich habe grosse Zweifel, dass die gleiche Methode in Frankreich funktionieren würde.

Maggie Thatcher brach rigoros die Macht der Gewerkschaften. In einem Land, das auf eine lange liberale Tradition zurückblickt wie England, war es möglich, die Linke zu isolieren. Die Franzosen dagegen sind fast alle heimliche Marxisten, selbst das Bürgertum glaubt nicht wirklich an dieÜberlegenheit der Märkte. Ein Generalangriff auf die Gewerkschaften – und das wäre nötig –würde hier als eine unerträgliche kapitalistische Anmassung empfunden."


Über den Hoffnungsträger meiner liberalen Westler-Freunde (die anscheinend nach der Devise bloggen "Neue Kärcher spülen gut!") Nicolas Sarkozy:

"Ich bin enttäuscht. Im Wahlkampf sind alle Kandidaten kopfscheu geworden, die wahrenProbleme werden nicht mehr angesprochen. Man redet lieber über die Nation als über die Arbeitslosigkeit. Royal ist stark nach links gerückt, Bayrou bleibt undefinierbar, ja sogar Sarkozy redet wie ein Sozialist. Seine wenigen wirtschaftspolitischen Vorstösse kann man nicht ernst nehmen. Er kritisiert die Europäische Zentralbank und redet protektionistischen Massnahmen das Wort. Was den Arbeitsmarkt betrifft, lag er noch vor einem Jahr richtig. Nun hört man nichts mehr davon."

Über den franko-germanischen Etatismus:

"Deutschland und Frankreich gleichen sich ohnehin viel stärker, als man auf den ersten Blick glaubt: extrem rigide Arbeitsmärkte, zu grosser Glaube in den Staat, schwaches Wachstum und zögerliche Politiker. Nur der Antikapitalismus ist in Frankreich noch ausgeprägter."

Schöne Aussichten also für eine steile Deklinologen-Karriere also auch in Deutschland!

Die Europäische Union als eine Synthese aus französischer Staatsidee und deutschem Untertanengeist (also die Fusion von Nitro und Glycerin), nach französischem Vorbild zentralisierte und bürokratisierte Strukturen und französisch inspirierte Regeln, die von gründlichen deutschen Beamten so unhinterfragbar wie Filbinger-Urteile exekutiert werden - das sind in der Tat düstere Zukunftsaussichten.

Good Night, Old Europe!

Und an meine Schweizer Leser mein ceterum censeo: DRAUSSEN BLEIBEN!!!




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