„Freiheit statt Demokratie“
(Interview aus der "Jungen Freiheit" vom 22.06.05)
Der libertäre Vordenker und bekennende „Antidemokrat“ Hans-Hermann Hoppe über seine provokanten Thesen
Von Moritz Schwarz
Herr Professor Hoppe, Sie sind bekennender Antidemokrat. Haben Sie bei Ihrer Vortragsreise durch Europa nicht Schwierigkeiten bei der Einreise in die Bundesrepublik bekommen?
Hoppe: Nein, und ich rechne auch nicht damit, daß dies in der Zukunft passieren wird. Ich habe in Dutzenden von Ländern in der ganzen Welt Vorträge gehalten, nie sind mir dabei Schwierigkeiten gemacht worden.
Wie kommt es, daß Sie in einem so „betont demokratischen“ Land wie Deutschland mit Ihrer Einstellung ein so gerngesehener Gast sind, zum Beispiel unlängst bei der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung?
Hoppe: Weil ich anders bin und etwas anderes zu sagen habe als die „Langweiler vom Dienst“ in der Politik und den „führenden“ Medien. Ich bin provokativ und biete intellektuelle Unterhaltung und Aufklärung gekonnt und auf höchstem Niveau.
Ihre These lautet, die Demokratie ist eine politische Ordnung, die nicht die Herrschaft des Volkes garantiert, sondern seine Ausbeutung.
Hoppe: Das Wesen der Demokratie ist die Umverteilung, die sich entsprechend der Verteilung der politischen Macht vollzieht. Das heißt, diejenigen, die an der Macht sind, verteilen zugunsten der eigenen Klientel und auf Kosten der Klientel der anderen Partei um. Mit Gerechtigkeit hat das nichts zu tun, und Grundrechte wie das auf Eigentum sind im Zweifelsfall schnell perdu. Verschärfend kommt hinzu, daß die Partei, die gerade herrscht, dazu nur vier Jahre Zeit hat – bis wieder gewählt wird. Um so schneller und verantwortungsloser vollzieht sich diese Umverteilung. In der Monarchie dagegen, als deren „glückliche“ Überwindung die Demokratie zu Unrecht gilt, war der Staat potentiell für immer in den Händen ein und derselben Dynastie. Dementsprechend schonend geht ein Monarch mit seinem „Besitz“ um. In der Demokratie gehört der Staat dagegen keinem, dementsprechend hemmungslos saugt ihn die gerade herrschende Partei aus.
Zum Beispiel?
Hoppe: Zum Beispiel die Bundesrepublik Deutschland. Der Kern der gegenwärtigen fundamentalen Krise dieses Landes ist, daß die Politiker den Wählern jahrzehntelang mehr und immer mehr versprochen haben. Sie haben verteilt, was volkswirtschaftlich gesehen gar nicht zum Verteilen da war, nur um wiedergewählt zu werden. Und die Wähler haben sich willig bestechen lassen, wohlwissend, was vor sich geht. Aber alle wollten eben ihren Nutzen aus diesem gigantischen Raubzug ziehen. Das Paradebeispiel ist Konrad Adenauer, der seine Rentenreform gegen den guten Rat der Fachleute durchgeführt hat, nur um Wähler zu gewinnen, ohne Rücksicht darauf, daß er damit den Keim der Vernichtung in das bundesdeutsche Rentesystem gepflanzt hat. Heute sind in Deutschland die Kassen leer und die Schulden nicht mehr zu tilgen. Alle schimpfen auf diejenigen, die damals über die Verhältnisse gelebt haben. Das ist Unsinn! Diese Leute haben sich lediglich gemäß den Regeln des Spiels verhalten. Schimpfen Sie nicht auf die Spieler, wenn Ihnen das Spiel nicht paßt, schimpfen Sie auf die Regeln! Schimpfen Sie auf die Demokratie! Freiheit statt Demokratie!
Müßten Sie nicht konsequent von allen Demokraten ausgeladen und bekämpft werden?
Hoppe: Was die guten Demokraten betrifft, so haben Sie gewiß recht. Aber gute Demokraten – also Vertreter des Prinzips, daß A und B, weil sie gegenüber C eine Mehrheit bilden, letzteren deshalb berauben oder bevormunden dürfen – sind für mich nur „moderate“ Kommunisten, und von denen nicht eingeladen zu werden, betrachte ich als eine Ehre. Nur gibt es gar nicht so viele Personen, die sich zu diesem Prinzip bekennen, wenn es denn erst einmal klar ausgesprochen wird. Es gibt weder in der Familie Demokratie noch in der Kirche, insbesondere der katholischen, noch in der Wissenschaft oder der Wirtschaft. Nirgendwo ist jede Stimme gleich. Überall gibt es Grade natürlicher Autorität.
Sind Sie ein Fall für den Verfassungsschutz?
Hoppe: Der Verfassungsschutz weiß doch gar nicht, was er mit mir und meiner Position anfangen soll. Ich befinde mich völlig außerhalb der gängigen politischen Klassifikationsschemata. Zwar bin ich ein Feind des demokratischen Staates, aber zu behaupten, ich sei ein Feind der Freiheit, des Privateigentums, der Familie und all dessen, was dem Normalbürger wert und teuer ist, ist absurd, geradezu zum Totlachen. Auch der Verfassungsschutz benötigt die Rückendeckung der öffentlichen Meinung. Ich bezweifele, daß es gelingt, mich zu einem Ungeheuer zu stempeln.
Immerhin, unlängst gab es doch Probleme: Allerdings nicht wegen des Antidemokraten Hoppe, sondern wegen Ihres Gegenparts, des konservativen Verlegers Götz Kubitschek, der pikanterweise die Demokratie in Gestalt des Staates gegen Sie verteidigte. Die Uni Greifswald hat der Veranstaltung – mit dem Hinweis, Kubitschek sei ein „rechter Intellektueller“ – die Räume entzogen (JF berichtete).
Hoppe: Die ganze Affäre erscheint mir symptomatisch für die politische Befindlichkeit in Deutschland.
Inwiefern?
Hoppe: Demokratie hat eben nichts mit Freiheit zu tun. Demokratie ist eine von Demagogen angereizte und unsicher gesteuerte Herrschaft des Mobs. Insbesondere die deutsche Demokratie trägt Züge eines weichen, durch weitgehende und als solche oft kaum mehr wahrgenommene Selbstzensur gekennzeichneten Totalitarismus.
Wieso sind Sie 1985 ausgerechnet in die USA ausgewandert, die sich selbst als Mutterland der Demokratie betrachten?
Hoppe: Nach meiner Habilitation 1981 war ich für fünf Jahre Empfänger eines Heisenberg-Stipendiums. Es hieß inoffiziell, daß man nach Ablauf des Stipendiums gewiß mit einem Lehrstuhl rechnen könne. Mir wurde aber schnell klar, daß dies in meinem Fall, mit meinen Auffassungen, sicher nicht eintreffen würde. Darum bin ich 1985 in die USA gezogen, in der, wie sich herausstellen sollte richtigen Annahme, daß der akademische Arbeitsmarkt – wie der Arbeitsmarkt generell – dort noch flexibel genug sei, um auch Außenseitern wie mir eine Chance zu eröffnen. Es ist mir nicht leichtgemacht worden, mich in Amerika erfolgreich durchzusetzen. Aber in Deutschland wäre ich untergegangen, dort habe ich dagegen von Anfang an Freunde und Förderer gefunden.
Sie sprachen vom „Totalitarismus“ der Demokratie. Meinen Sie die „Political Correctness” (PC)? Auch die stammt aus den USA!
Hoppe: Es stimmt, die PC-Bewegung in Amerika ist zweifellos älter als in Deutschland und Europa. Sie hat mit der sogenannten „Bürgerrechtsgesetzgebung“ Mitte der sechziger Jahre begonnen und findet heute in einer Vielzahl beinahe alle Lebensbereiche erfassender „affirmative action“-Bestimmungen, Quotenregelungen und Diskriminierungsverboten Ausdruck. Mittlerweile gibt es eigentlich nur noch eine einzige nicht-geschützte Personengruppe: weiße heterosexuelle Männer. Sie sind die für alles Unheil der Welt verantwortliche „Tätergruppe“. Alle anderen Personengruppen sind ihre „Opfer“. Ob die Situation heute in Amerika schlimmer oder bedrohlicher ist als in Europa ist schwierig zu beurteilen. In den USA treibt die Political Correctness wohl die verrückteren Blüten. Aber obwohl Sündern wider den korrekten Geist das Leben schwergemacht und nicht selten die Karriere ruiniert wird, wird man doch, im Unterschied zu Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern, zumindest nicht mit strafrechtlichen Sanktionen bedroht, wenn man sich über besonders heikle Themen äußert.
Zum Beispiel?
Hoppe: Denken Sie nur an den Volksverhetzungsparagraphen, der Äußerungen bestimmter Art über die jüngere deutsche Geschichte, selbst wenn sie nur als untersuchungswürdige Vermutungen gekennzeichnet werden, unter Strafandrohung stellt. Damit erreicht man meines Erachtens nur das genaue Gegenteil dessen, was beabsichtigt ist. Wenn bestimmte Äußerungen verboten sind, stellt sich beinah automatisch der Verdacht ein, daß an ihnen möglicherweise doch etwas dran ist. Denn warum sollte man sonst zu so einer drastischen Maßnahme wie einem Sprachverbot greifen?
Zurück zur Demokratie: Wenn die Demokratie nicht eine Form der Freiheit, sondern eine Form der Ausbeutung ist, was bedeutet das dann für den Gründungsmythos der Demokratie in Europa, die Französische Revolution?
Hoppe: Gewiß muß das Bild von der Französischen Revolution noch grundlegend berichtigt werden, wenngleich es in den letzten Jahren schon erhebliche Fortschritte in dieser Richtung gegeben hat. Die Französische Revolution gehört in dieselbe Kategorie von üblen Revolutionen wie die bolschewistische Revolution und die nationalsozialistische Revolution. Königsmord, Egalitarismus, Demokratie, Sozialismus, Religionshaß, Terror, Massenplünderung, -vergewaltigung und -mord, die allgemeine militärische Zwangsverpflichtung und den totalen, ideologisch motivierten Krieg – all das verdanken wir der Französischen Revolution.
Das ist jetzt über 200 Jahre her. Wie konnten sich die Völker so lange so täuschen?
Hoppe: Die meisten Personen, immer und überall, sind töricht und dumm. Und der sogenannte Wohlfahrtsstaat und das „öffentliche“ Bildungswesen trägt dazu bei, die Bevölkerung noch weiter zu verdummen. Sie denken nicht selbst, sondern beten das nach, was ihnen von den Eliten erzählt wird. Und die Eliten haben nur allzu oft ein Interesse daran, die Massen dumm zu halten, da sie selbst von dieser Dummheit profitieren.
Sie betrachten nicht nur die Demokratie, sondern gleich den Staat an sich als eine Fehlentwicklung der Geschichte. Wieso hat sich all das denn entwickelt, wenn es so überflüssig ist?
Hoppe: Versetzen Sie sich in die Lage vor 1989. Da hätte man fragen können: Sie halten den Sozialismus für eine Fehlentwicklung, wieso hat er sich dann entwickelt? Die Antwort: Die Geschichte ist kein geradliniger Prozeß, in dem es immer nur vorwärts und aufwärts geht. Es gibt auch Fehlentwicklungen. Der Sozialismus stellt eine solche, kurzfristige Fehlentwicklung dar, der Staat eine andere, langfristigere. Und ja, natürlich erfüllen beide auch eine „wichtige“ Funktion: Der Sozialismus erlaubt der sozialistischen Partei, die produktiv arbeitende Bevölkerung zum eigenen Vorteil auszubeuten, und der Staat leistet das gleiche für die Etatisten.
Sie werfen dem Konservatismus vor, im Grunde nichts anderes als „Sozialismus“ zu sein. Sind aber nicht vielmehr Sie – mit Ihrem utopischen Menschenbild vom unbedingt eigenverantwortlichen Menschen – der „Sozialist“?
Hoppe: Sehen Sie sich einmal das über 150 Jahre alte Kommunistische Manifest an, dann werden Sie mir zustimmen, daß die konservativen Parteien der Gegenwart einen Großteil der sozialistischen Ideologie geschluckt haben. Der Niedergang der SPD, den wir gegenwärtig in Deutschland erleben, ist kein Zeichen einer Abkehr vom Sozialismus, sondern seines Triumphes: Es gibt keinen besonderen Grund mehr, SPD zu wählen, wenn doch alle Parteien sozialdemokratisch sind! Von daher erhoffe ich mir auch so gut wie nichts von der bevorstehenden „Wende“ von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb durch die voraussichtliche Bundestagswahl im Herbst. Was die Frage des Utopischen angeht, so irren Sie sich: Die Sozialisten sind Utopisten, denn sie gehen davon aus, daß es mit der Ankunft des Sozialismus auch zu einer Wandlung der menschlichen Natur kommt. Das ist natürlich Unsinn, frommes Wunschdenken. Libertäre wie ich sind dagegen Realisten. Wir nehmen die Menschen, wie sie sind – gut und böse, friedfertig und aggressiv, altruistisch und egoistisch, produktiv und unproduktiv, fleißig und faul, verantwortungsvoll und verantwortungslos etc. – und glauben nicht, daß die menschliche Natur grundsätzlich wandelbar ist. Als Realisten sind wir nur davon überzeugt, daß Anreize immer und überall wirken. Es muß eine institutionelle Anreizstruktur geschaffen werden, die „gutes“ Verhalten belohnt und „schlechtes“ bestraft. Das wird „schlechtes“ Verhalten zwar nicht beseitigen, aber es wird seine Häufigkeit und Heftigkeit vermindern.
Und diese Anreize schafft eben zum Beispiel der demokratisch kontrollierte Rechtsstaat konservativ-altliberaler Prägung!
Hoppe: Die Institution eines Staates, die im Unterschied zu allen anderen Institutionen Zwangsabgaben (Steuern) erheben darf und die in allen Konfliktfällen, einschließlich solcher, in die sie selbst verwickelt ist, letztendscheidender Richter ist, setzt falsche Anreize: Zum einen erlaubt sie es Personen, ein Einkommen zu erzielen, ohne dafür Güter oder Dienstleistungen erbringen zu müssen, die freiwillige Abnehmer finden. Mit anderen Worten: Sie belohnt Personen dafür, minderwertige Güter oder gar „Ungüter“ herzustellen. Zum anderen schafft der Staat einen Anreiz dafür, Konflikte nicht zu schlichten, sondern sie selbst zu provozieren, um sie dann zu eigenen Gunsten zu entscheiden. Mit anderen Worten: Der Staat belohnt das Begehen von Unrechtstaten. „Der Sozialstaat wird untergehen, wie einst die UdSSR“
Ihrer Analyse vom zwingend erfolgenden Niedergang des Wohlfahrtsstaates ist derzeit leider schwerer denn je zu widersprechen. Werden wir Deutschen tatsächlich unser liebstes politisches Kind, den deutschen Sozialstaat, verlieren?
Hoppe: Der sogenannte Sozialstaat – eigentlich handelt es sich bei dem, was wir sozial nennen um „Stehlen und Hehlen“, aber nicht um echte, freiwillige und nur darum moralisch zu nennende Sozialpolitik – wird ebenso sicher zusammenbrechen, wie der Kommunismus zusammengebrochen ist. Das ganze Sozial-„Versicherungssystem“, der Generationen-„Vertrag“, ist wie ein Kettenbrief zum Absturz verurteilt. Jeder private Geschäftsmann, der ein solches „Versicherungssystem“ anbieten wollte, würde sofort als Gauner verhaftet. Daß man in Deutschland immer noch, selbst angesichts steigender Lebenserwartungen und sinkender Geburtenraten, so tut, als habe man es mit einer großen Erfindung zu tun, zeugt deshalb nur davon, wie verantwortungslos, ja geradezu gemeingefährlich die gesamte Politikerklasse hierzulande ist.
Prof. Dr. Hans-Hermann Hoppe gilt als einer der profiliertesten Vordenker der weltweiten libertären Bewegung. Geboren wurde er 1949 in Peine. Er studierte Soziologie und Ökonomie und wanderte 1985 in die USA aus, um bei Murray Rothbard zu studieren, dessen Lehrstuhl er schließlich übernahm. Hoppe ist „Distinguished Fellow“ am Ludwig von Mises Institute in Auburn, Herausgeber des Journal of Libertarian Studies und Autor verschiedener Bücher. Seine provokante Studie „Demokratie – Der Gott, der keiner ist“ (Verlag Manuscrpitum, 2003) erreichte in den USA sieben Auflagen und wurde bislang ins Deutsche, ins Spanische und ins Koreanische übertragen. Übersetzungen ins Polnische und Italienische sind in Vorbereitung.
Siehe auch:
http://www.hanshoppe.com
Wednesday, June 29, 2005
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Libertäre Grüße aus der Geburtsstätte der Österreichischen Schule der Ökonomie,
Tomasz M. Froelich
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