Saturday, June 18, 2005

EUtopia und die Hybris der Mächtigen

Christoph Mörgeli, mein Lieblingskolumnist bei meiner Lieblingswochenzeitung "Weltwoche" trifft mal wieder genau ins Schwarze:


Konkret

In Ewigkeit, amen

Von Christoph Mörgeli

Manchmal ist es bloss ein Sätzchen, das die gespenstische Anmassung der EU-Eliten aufleuchten lässt. Nachdem ein italienischer Minister laut über den Sinn des Euro nachgedacht hatte, hiess es aus der Entourage des spanischen Währungskommissars spitz: «Der Euro ist für die Ewigkeit!» Ein nicht minder absolutistisch veranlagter Vorfahre, der spanische Habsburger Karl V. prahlte im 16. Jahrhundert, in seinem Reich gehe die Sonne nicht unter. Zurzeit geht in Spanien die Sonne pünktlich und im ganzen Land um zirka 21 Uhr unter. Ewigkeiten können ziemlich kurz sein. Das tausendjährige Reich Hitlers hielt exakt zwölf Jahre, drei Monate und neun Tage. In Ewigkeit ruhen auch das Heilige Römische Reich Deutscher Nation, Napoleon, die Sowjetunion und noch ein paar andere für die Ewigkeit gedachte Projekte.
Vor zwei Jahren publizierte eine Reihe Grossintellektueller Essays über das Wesen und die Zukunft des deutsch-französischen «Kerneuropa». So auch der in Berlin lebende Schweizer Schriftsteller Adolf Muschg. Vor ihm stilisierte freilich schon der Nazi-Historiker Theodor Meyer das Deutsche Reich zum «Kerneuropa»: Dieses habe «immer europäisch, und zwar im Sinne einer europäischen Ordnung», gedacht. Man kann sich seine Väter nicht aussuchen - ausser den geistigen.
Jetzt hat die eine Hälfte von Kerneuropa mit einem wuchtigen Non! das europäische Verfassungswerk beerdigt. Die andere Hälfte wurde vorsichtshalber nicht gefragt. So wie die Deutschen nie befragt wurden, weder zu Maastricht noch zum Euro oder zur Osterweiterung. «Europa ist eine Tatsache, die dadurch wird, dass man sie schafft», schreibt Muschg in seinem Artikel, und genau so handeln die Eurokraten - über die Köpfe und Sorgen der Bürger hinweg.
Die von Muschg verächtlich als «natio­naler Idiotismus» titulierte Selbstbestimmung hat gleich zweifach zugeschlagen. Zuerst die «idiotischen» Franzosen und nach ihnen die «idiotischen» Niederländer. In Grossbritannien, Tschechien, Polen und Dänemark sind die Volksbefragungen inzwischen ausgesetzt worden. Es könnte ja gut sein, dass die Idioten wieder nicht so stimmen, wie es sich die Intellektuellen in ihren Feuilletons und die Staatsoberhäupter an ihren EU-Gipfeln ausgedacht haben. Wenn etwas für die Ewigkeit bestimmt ist: dann ist es die Selbstüberhebung der Mächtigen und ihrer Höflinge.

Der Autor ist Historiker und SVP-Nationalrat


aus DIE WELTWOCHE, Ausgabe 24/05
www.weltwoche.ch





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