Tuesday, October 17, 2006

BRD zu einer offenen, liberalen Gesellschaft reformierbar? Zweifel sind erlaubt

Der SPIEGEL (42/2006) spekuliert gerade, Angela Merkel könne den EU-Gipfel im Frühjahr 2007 dazu nutzen, für einen europäisch-nordamerikanischen Abschottungsblock gegen die böse, böse fernöstliche Konkurrenz zu plädieren. Zitat:

„Womöglich nutzt Merkel die dann fällige Grundsatzrede für ein erstes öffentliches Werben um die transatlantische Freihandelszone. Deren Gegner versuchen, das Zusammenrücken Europas mit den USA als Akt des Protektionismus zu brandmarken. Mit demselben Argument hatte die FDP seinerzeit die Gründung Europas abgelehnt. Adenauer setzte die Römischen Verträge auch im eigenen Kabinett mit einem sogenannten Integrationsbefehl (Ludwig Erhard) durch.“

Diese putzigen Sätze offenbaren zunächst das völlige Unverständnis der Autoren (allem voran Gabor Steingart) von der Idee des Freihandels, wie ihn etwa Frederic Bastiat überzeugend vertreten hat, sowie ein erschreckendes Maß an Unkenntnis über das protektionistische Wesen der EU. Dieses Ausmaß an Ignoranz wird dem geneigten Leser dann noch dummdreist als höhere Einsicht in realpolitische Notwendigkeiten verkauft.

Sie zeigen aber auch noch etwas anderes: Die tonangebenden Meinungslager dieser Republik waren seit eh und je so unempfänglich gegenüber wohlbegründeten Einwänden zu falschen historischen Weichenstellungen und auch im Nachhinein durch keine noch so massive Tatsachenfülle zum Fehlereingeständnis oder gar zur Korrektur bereit, wie sie es heute noch sind. Ungestümere Naturen als der Betreiber dieses Blogs könnten daher durchaus auf den Gedanken kommen, weitreichendere Schlußfolgerungen zu ziehen und beispielsweise zu fragen, ob die von Semi-Libertären wie etwa von dem von mir sehr geschätzten Achim Hecht immer noch aufrecht erhaltene Ansicht, die BRD sei reformierbar, nicht lediglich eine morbide Form von “wishful thinking“ darstellt, die zudem keiner empirischen Überprüfung standhält. Daß immer mehr Menschen an der Reformfähigkeit dieser Republik grundsätzliche Zweifel hegen, das zeigen nicht zuletzt auch jene exorbitant hohen Auswanderungszahlen, ein Exodus, wie wir ihn zuletzt am Ende der 30er Jahre hatten.

5 comments:

Herfried said...

Hat sich schon einer von den "Gradualisten" und "Reformisten" geäußert? Ich sehe das nämlich genauso!

Chris said...

Die Reformfähigkeit oder -unfähigkeit wird, analog zu den durchaus vergleichbaren Verhältnissen in der Schweiz, Gegenstand der künftigen Empirie sein. Man leidet (gerne?) auf hohem Niveau, ergo ist der entsprechende Druck noch nicht ausreichend, um tragfähige Reformkoalitionen entstehen zu lassen. Eine personalisierte Reform-Führungsrolle wie sie Margaret Thatcher in Grossbritannien spielte, dürfte sich in Deutschland aus historischen Gründen verbieten. Warten wir also einmal ab, bis die Zustände mit jenen in Grossbritannien 1979 vergleichbar sind.

Anonymous said...

Bei der Diskussion um die Reformierbarkeit sollte man immmer im Auge behalten, daß das gleiche Mittel, das zu mehr Reformen führt, genausogut auch dazu verwendet werden kann, das Gegenteil zu erreichen. Politik ist genau aus diesem Grund nicht das Mittel der Wahl.

Selbst wenn, wie in Großbritannien das politische Mittel kurzfristig zu vermeintlich mehr Marktwirtschaft und damit zu mehr Freiheit geführt hat, so kann und wurde der Folge die Politik auch wieder dazu verwendet diese Prozesse rückgängig zu machen.

Die Demokratie als solche ist nicht reformierbar.

Reformen dürfen nicht umkehrbar sein. Sie müssen eine Widerhaken haben.

Das einzige Verfahren, der Staaten, egal, wie sie sich verfaßt haben, zum Reformen zwingt, ist die Realität des Marktes.

Staaten sind nicht aus sich heraus reformierbar, sondern nur aufgrund von äußerem Druck.

Als liberaler sollte man darauf achten, daß das Mittel das man verwendet mit dem Ziel, das man verfolgt kongruent ist. Dies trifft aus liberaler Sicht nur für den Markt zu.

Jede andere Form der Veränderung kann auch von anderen verwendet werden und kann vor allem auch verwendet werden, um den Liberalismus und die Märkte selbst zu bekämpfen.

Ich vertraue deshalb nicht auf die Einsicht der Politiker oder auf politische Prozesse, sondern auf die Notwendigkeiten, die die Märkte hervorbringen.

Viele Grüße

Michael Kastner

Simon Kromer said...

man muss sich ja nur die FDP anschauen. Kaum sind die beiden Volksparteien, die die meiste Schuld an der Misere haben, an der Regierung und werden ergo für kaltherzige Kapitalisten gehalten (weil sie nicht umhergehen und Brote und Fische aus leeren Körben zaubern, wie der Wähler das eben erwartet), meint man bei den sogenannten Liberalen, man könnte einen sozialen Kuschelkurs fahren, um daraus Profit zu schlagen. Die Demokratie an sich ist schon kaum reformierbar, doch am allerwenigsten die deutsche!

Oliver Luksic said...

Solche liberalen Reformen wie von mir, Dominik und den Lesern dieses Blogs gewünscht sind wird es natürlich so nie geben in Deutschland- aber auch nicht in anderen Ländern! Es ist aber auch in vermeintlich liberaleren Ländern nicht alles besser und in Deutschland ist nicht alles schlecht. Auch in den USA oder GB gibt es nicht überall die reine liberale Lehre.

Chris hat Recht, wenn der Druck stark genug ist wird es auch mehr Reformen geben (müssen- aber eben immer nur bis zu einem gewissen Grad.