Thursday, October 19, 2006

Die strafrechtliche Verfolgung von Worten und eine freie Gesellschaft schließen einander aus

"Die Vorstellung, man könne eine freie Gesellschaft schaffen, in der niemand jemals beleidigt oder gekränkt würde, ist absurd. Dasselbe gilt für die Vorstellung, die Menschen sollten das Recht haben, sich mit rechtlichen Mitteln gegen Kränkungen und Beleidigungen zu wehren. Hier stehen wir vor einer grundlegenden Entscheidung: Wollen wir in einer freien Gesellschaft leben oder nicht?"

Salman Rushdie

1 comment:

Dominik Hennig said...

Vielleicht dazu noch eine persönliche Anmerkung:

Schon als junger "Rechter" war ich immer schon intuitiv unzufrieden, wenn die "Rechten" in meiner Umgebung zwar Kampagnen für die Meinungsfreiheit für bestimmte Ansichten zur Zeitgeschichte veranstalteten - die ich unterstützte, die aber gleichzeitig "Deutschland verrecke"-Rufe unter Strafe stellen wollten, die christlichen Konservativen "Gotteslästerung" schärfer geahndet sehen wollten, militaristische Rechte gegen den Tucholsky-Spruch als Aufkleber "Soldaten sind Mörder" vors BVerfG zogen oder Martin Hohmann dabei unterstützten, wenn er bestimmten Zeitungen das Aufstellen unwahrer Behauptungen gerichtlich untersagen lassen wollte.

Und rechte Polizisten, die wg Ausländerwitzen im privaten(!) Umfeld angezeigt wurden und deshalb berufliche Nachteile zu gewärtigen hatten und dies mit Recht als Zumutung empfanden, finden andererseits nichts dabei, auf dem Privileg des Sonderschutzes durch "Beamtenbeleidigung" zu bestehen und in dessen Gunst zu gelangen. Nicht zuletzt aufgrund dieser doppelten Moralstandards kam es zwischen mir und der Rechten zum Bruch.

Es gibt nur eine legitime Einschränkung von Äußerungen und das ist fremdes Eigentum. Basta! Alles andere ist Pandora's Box zur Inquisition an Vertretern mißliebiger Auffassungen.

Bei Rothbard fand ich später meine eigenen Gedanken wieder:

„Gibt es wirklich ein „Persönlichkeitsrecht“? Wie kann das sein? Wie kann es ein Recht geben, jemanden gewaltsam davon abzuhalten, Wissen zu verbreiten, das er besitzt? Sicherlich kann es kein solches Recht geben. Jemand, nennen wir ihn Schmidt, besitzt seinen eigenen Körper und daher hat er das Eigentumsrecht auf Besitz desjenigen Wissens, das er in seinem Kopf hat, einschließlich seines Wissens über Meier. Und folglich hat er das daraus natürlich folgende Recht, dieses Wissen zu drucken und zu verbreiten. Wie im Fall des „Menschenrechts“ auf Redefreiheit gibt es daher kurz gesagt so etwas wie ein Persönlichkeitsrecht nicht, ausgenommen das Recht, den eigenen Besitz vor Übergriffen zu schützen. Das einzige Recht „auf Privatsphäre“ ist das Recht, den eigenen Besitz davor zu schützen, von jemand anderem verletzt zu werden. Kurzum hat niemand das Recht, in die Wohnung eines anderen einzubrechen oder die Telephonanschlüsse eines anderen abzuhören. Das Abhören von Telefonen ist richtigerweise ein Verbrechen – aber nicht wegen irgendeiner unklaren und wirren „Verletzung eines ‚Persönlichkeitsrechts’“, sondern weil es eine Verletzung des Eigentumsrechts der abgehörten Person bedeutet.

...

Angenommen jedoch, dass das Wissen falsch ist und dass Schmidt weiß, dass es falsch ist (der „schlimmste“ Fall). Hat Schmidt das Recht, falsche Informationen über Meier zu verbreiten? Kurzum, sollten „Beleidigung“ und „üble Nachrede“ in der freien Gesellschaft gesetzeswidrig sein?

Doch wie kann das wiederum der Fall sein? Schmidt hat ein Eigentumsrecht an den Ideen oder Meinungen in seinem Kopf. Er hat auch ein Eigentumsrecht, alles zu drucken und zu verbreiten, was er möchte. Er hat ein Eigentumsrecht, zu sagen, dass Meier ein „Dieb“ ist, und diese Behauptung zu drucken und zu verkaufen, selbst wenn er weiß, dass sie nicht stimmt. Nach der gegenteiligen Ansicht und heutigen Grundlage für das gesetzliche Verbot von Verleumdung und übler Nachrede (besonders von falschen Behauptungen), hat jeder Mensch ein „Eigentumsrecht“ an seinem eigenen Ruf. Schmidts Falschheiten schädigen demzufolge diesen Ruf und bedeuten mithin Verletzung von Meiers Eigentumsrecht an seinem Ruf, die verboten werden sollten. Doch wieder zeigt sich bei näherer Untersuchung, dass dies eine irrige Auffassung ist. Denn wie wir sagten, besitzt jeder seinen eigenen Körper. Jeder hat ein Eigentumsrecht an seinem eigenen Körper und seiner eigenen Person. Da aber jeder Mensch seinen eigenen Geist besitzt, kann er aus diesem Grunde nicht den Geist von irgendjemand anderem besitzen. Nun ist Meiers „Ruf“ weder ein physisches Ding noch irgendetwas, das in oder an seiner eigenen Person ist. Meiers „Ruf“ hängt ausschließlich von den subjektiven Einstellungen und Meinungen ab, die über ihn im Geist anderer Menschen enthalten sind. Meier kann kein Eigentumsrecht am Glauben und am Geist anderer Menschen haben.
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Wir können natürlich ohne weiteres zugestehen, dass es höchst unmoralisch ist, falsche Verunglimpfungen einer anderen Person zu verbreiten. Doch wir müssen nichtsdestotrotz daran festhalten, dass jeder das gesetzliche Recht hat, dies zu tun. In der Praxis kann dieser Sachverhalt durchaus zum Vorteil der beleidigten Personen gereichen. Denn in der heutigen Situation, da falsche Beleidigungen verboten sind, neigt der Durchschnittsmensch dazu, allen abfälligen Berichten zu glauben – „sonst würden die betreffenden Leute wegen übler Nachrede klagen.“ Diese Lage diskriminiert gegen Arme, da ärmere Leute weniger häufig Prozesse gegen Verleumder anstrengen. Folglich leidet der Ruf ärmerer bzw. weniger reicher Leute momentan, da Verleumdungen verboten sind, wahrscheinlich mehr, als er es tun würde, wenn Verleumdungen rechtens wären. Denn da in dieser liberalen Gesellschaft jeder wüsste, dass falsche Geschichten rechtens sind, würde ein weitaus größerer Skeptizismus herrschen. Die Leser- bzw. Zuhörerschaft würde sehr viel mehr Beweise verlangen und abträglichen Erzählungen weniger Glauben schenken als sie es jetzt tut. Außerdem diskriminiert das gegenwärtige System noch auf andere Weise gegen ärmere Leute. Denn ihre eigenen Äußerungen sind eingeschränkt, da sie wahrscheinlich in geringerem Maße wahres, aber nachteiliges Wissen über Reiche verbreiten – aus Angst, dass kostspielige Verleumdungsklagen gegen sie angestrengt werden. Folglich schadet das Verleumdungsverbot Menschen mit begrenzten Mitteln auf zweierlei Art und Weise: indem es sie zu einer leichteren Beute für Verleumdungen macht und indem es ihre eigene Verbreitung von zutreffendem Wissen über Reiche behindert.“

Auszüge aus Murray N. Rothbard: „Die Ethik der Freiheit“, S. 131 ff.