Thursday, March 15, 2007

Gesinnungsjustiz

Roger Köppel verteidigt in seinem aktuellen Weltwoche-Kommentar die freie Rede. Es loht sich wirklich, ihn ausführlich zu zitieren:

"Liberale Demokratien leben von Voraussetzungen, die sie selber nicht garantieren können. Gesinnungen können nicht eingefordert, korrekte Meinungen nicht befohlen werden. An der Wurzel der liberalen Demokratie steht die Überzeugung, dass alles, was für wahr gehalten wird, straflos in Frage gestellt, dem Widerstreit der Meinungen ausgesetzt werden kann. Nicht die Festschreibung von Gewissheiten, sondern die Möglichkeit der Kritik und Auseinandersetzung hält die offene Gesellschaft im Innersten zusammen. Das ist keine Trivialität. Die grosse Befreiungsleistung der Moderne besteht darin, dass sie Dogmen verflüssigte, absolut gesetzte Wahrheiten ausser Kraft setzte. Bis weit ins 20. Jahrhundert glaubten totalitäre Denker zur Linken wie zur Rechten, nur die Zementierung von Glaubenssätzen, die Herstellung homogener Ideensysteme, letztlich die quasireligiöse Wiederverzauberung politischer Ordnungen und der Ausschluss alles Heterogenen könne Stabilität verbürgen. Inzwischen hat sich die Einsicht durchgesetzt, dass genau das Gegenteil eintritt: Die Guillotine war das bevorzugte Instrument der jakobinischen Gesinnungsdiktatur unter dem rabiaten Gutmenschen Robespierre. Tabus und Sprechverbote nähren Ressentiments, Heuchelei, Verschwörungen und Opfermythen. Vor allem behindern sie das offene Gespräch, den Wettbewerb der Auffassungen, der zu den grössten Errungenschaften und Qualitäten moderner Gesellschaften gehört.

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Seit wann obliegt es politischen Körperschaften, historische Vorgänge rechtsverbindlich zu definieren?" (Hervorhebung DDH)


Sein Fazit kann auch auf sämtliche Aspekte bundesrepublikanischer Gesinnungsjustiz angewendet werden:

"Es schadet nicht, auf eine Binsenweisheit hinzuweisen: Meinungen sind nicht mit Gesetzen, sondern mit Argumenten zu bekämpfen. Wer nicht an die Geltungskraft schlüssiger Beweisführungen glaubt, zweifelt an der Menschenwürde, die Freiheit einschliesst, übrigens auch die Freiheit zum Irrtum. Die Antirassismusstrafnorm ist das Resultat des irrigen Versuchs, die richtige Meinung, die richtige Gesinnung gesetzlich herzustellen. Weiter kann man sich vom Erbe der Aufklärung kaum entfernen."

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