Monday, November 02, 2020

"Verschwörungstheorien" aus der Sicht des Freiheitsdenkers Murray N. Rothbard


Murray N. Rothbard, der Nestor der "Austrian School of Economics" in den USA schrieb zum Thema "Verschwörungstheorien" (zur Genese des Begriffs hat Hans-Georg Maaßen ein paar erhellende Worte gefunden ):

 „Es ist auch wichtig für den Staat seinen Untergebenen eine Aversion gegenüber jeglichen „Verschwörungstheorien über die Geschichte“ einzuimpfen; die Suche nach „Verschwörungen“ bedeutet eine Suche nach Motiven und eine Zuschreibung von Verantwortung für historische Verbrechen. Wenn jedoch irgendeine durch den Staat auferlegte Tyrannei, Bestechlichkeit oder ein Aggressionskrieg nicht durch die Staatsführung verursacht wurde, sondern durch mysteriöse und geheimnisvolle „soziale Kräfte“ oder durch den unvollkommenen Zustand der Welt, wenn irgendwie Jeder verantwortlich ist („Wir sind alle Mörder“ behauptet ein Slogan), dann gibt es für die Menschen keinen Grund entrüstet zu sein oder sich gegen solche Missetaten zu erheben. Ferner bedeutet ein Angriff auf „Verschwörungstheorien“, dass die Untertanen leichtgläubiger werden und an die Gründe des „allgemeinen Wohlergehens“ glauben, die vom Staat immer vorgebracht werden, wenn er sich in irgendeiner seiner despotischen Aktionen ergeht. Eine „Verschwörungstheorie“ kann das System destabilisieren, indem es die Öffentlichkeit an der ideologischen Propaganda des Staates zweifeln lässt.“ 



 Und 1977 schrieb er: 



 „Jedes Mal, wenn eine kompromisslose Analyse darüber vorgebracht wird, wer unserer Herrscher sind, wie sich ihre politischen und wirtschaftlichen Interessen ineinander verzahnen, wird diese durch Liberale und Konservative (und sogar durch viele Libertäre) des Establishments ausnahmslos als „Verschwörungstheorie über die Geschichte“, „paranoid“, „ökonomisch deterministisch“ oder sogar „marxistisch“ angeprangert. Diese Verleumdungsbezeichnungen werden über die Bank weg angewandt, so realistisch solche Analysen, von der John Birch Society bis hin zur Kommunistischen Partei, auch sein mögen und gewesen sind. Die am häufigsten verwendete Bezeichnung ist „Verschwörungstheoretiker“, fast immer als feindliches Schimpfwort verwandt und weniger vom „Verschwörungstheoretiker“ selbst übernommen. Es ist kein Wunder, dass diese realistischen Analysen gewöhnlich von diversen „Extremisten“ verbreitet werden, die sich außerhalb des Konsenses des Establishments befinden. 

Für das Establishment ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Herrschaft des Staatsapparates in den Augen der Öffentlichkeit weiterhin Legitimität, sogar Unantastbarkeit genießt und es ist von entscheidender Bedeutung für diese Unantastbarkeit, dass unsere Politiker und Bürokraten als Verkörperungen sich ausschließlich dem „öffentlichen Gemeinwohl“ verschriebener Geister angesehen werden. Wenn die Katze erst einmal aus dem Sack ist, dass diese Geister beim Vorantreiben eines Sammelsuriums wirtschaftlicher Interessen unter Verwendung des Staats allzu oft in der irdischen Welt verankert sind, fängt die grundlegende Mystik der Regierung an zusammenzubrechen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel. Angenommen wir stellen fest, dass der Kongress ein Gesetz verabschiedet hat, mit dem man die Zölle auf Stahl anhebt oder Importquoten auf Stahl einführt. Sicherlich würde es nur ein Idiot nicht schaffen festzustellen, dass die Zölle oder Quoten zu Gunsten von Lobbyisten der inländischen Stahlindustrie eingeführt wurden, die darum bemüht sind effiziente ausländische Mitbewerber außenvorzuhalten. Niemand würde gegen eine derartige Schlussfolgerung den Vorwurf „Verschwörungstheoretiker“ vorbringen. Aber was der Verschwörungstheoretiker macht, ist einfach die Erweiterung seiner Analyse auf komplexere Maßnahmen der Regierung: 

Sagen wir öffentliche Arbeitsprojekte, die Gründung des ICC, die Schaffung des Federal Reserve Systems oder der Eintritt der Vereinigten Staaten in einen Krieg. In jedem dieser Fälle fragt sich der Verschwörungstheoretiker die Frage Cui bono? Wer profitiert von diesen Maßnahmen? Wenn er feststellt, dass von Maßnahme A X und Y profitieren, ist sein nächster Schritt die Hypothese zu untersuchen: Haben X und Y tatsächlich Einfluss ausgeübt oder Druck angewandt um Maßnahme A in Gang zu bringen? Kurz gesagt, waren sich X und Y gewahr, dass sie profitieren würden und haben sie dementsprechend gehandelt? Fernab davon paranoid zu sein oder deterministisch, ist der Verschwörungsanalyst ein Praxeolologe; sprich, er glaubt, dass Menschen vorsätzlich handeln, sie bewusste Entscheidungen zur Einleitung von Maßnahmen treffen um ihre Ziele zu erreichen. Daher nimmt er an, wenn Schutzzölle auf Stahl verabschiedet werden, dass die Stahlindustrie sich dafür eingesetzt hat; wenn ein öffentliches Projekt geschaffen wird, hypothesiert er, dass es durch eine Allianz aus Baufirmen und Gewerkschaften angeregt wurde, die in den Genuss öffentlicher Aufträge kommen, sowie durch Bürokraten, die dadurch ihre Arbeitsstellen und Gehälter ausbauen. Es sind die Gegner der Verschwörungsanalyse, die vorgeben zu glauben, dass alle Ereignisse – und am wenigsten die in der Regierung – zufällig und ungeplant vonstatten gehen und Menschen sich daher nicht mit vorsätzlichen Entscheidungen und Planungen auseinandersetzen. 

 Es gibt natürlich gute Verschwörungsanalysten und schlechte Verschwörungsanalysten, genauso wie es gute und schlechte Historiker oder Fachmänner jeder Disziplin gibt. Die schlechten Verschwörungsanalysten tendieren dazu zwei Arten von Fehlern zu begehen, die dem Establishment tatsächlich alle Möglichkeiten offen halten den Vorwurf der „Paranoia“ anzubringen. Erstens, er stoppt bei der Frage Cui bono; wenn von Maßnahme A X und Y profitieren, kommt er einfach zu dem Schluss, dass X und Y deswegen verantwortlich sind. Er scheitert dabei zu verstehen, dass es sich bloß um eine Hypothese handelt, die verifiziert werden muss, indem man herausfindet, ob X oder Y es wirklich getan haben oder nicht. (Das vielleicht verrückteste Beispiel hierzu, war das des britischen Journalisten Douglas Reed, der, nachdem er feststellte, dass das Ergebnis von Hitlers Politik die Zerstörung von Deutschland war, ohne Beweise zu dem Schluss kam, Hitler sei deshalb ein wissentlicher Agent ausländischer Kräfte gewesen, die ihn absichtlich befahlen Deutschland zu ruinieren.) Zweitens, der schlechte Verschwörungsanalyst scheint einen Zwang dazu zu haben alle Verschwörungen und alle Machtblöcke der bösen Jungs in einer riesigen Verschwörung zusammenzuwürfeln. Anstatt zu sehen, dass es verschiedene Machtblöcke gibt, die versuchen Kontrolle über die Regierung zu erlangen, manchmal in Konflikt und manchmal in Allianz miteinander, muss er vermuten – auch hier wieder ohne Beweise – dass eine kleine Gruppe von Männern sie alle kontrolliert und es nur so scheint, als würden sie in Auseinandersetzung miteinander geraten…“