Monday, July 10, 2006

Die Unvollendete

Irgendwie fühlt man sich nach dieser WM an Beethovens Neunte erinnert: Berauschend schön, aber doch unvollendet. Mit dem Ausgang des Finales, der Darbietung beider Teams im großen Endspiel am Sonntag und letztlich mit dem trostlosen Pokalsieger Italien, der günstigstenfalls unverschämtes Glück für sich reklamieren kann (und der zudem vom rätselhaften "Selbstmordattentat" Zinedine Zidanes profitierte), der aber den WM-Sieg erwartungsgemäß als vermeintliche Bestätigung seiner nationalen Glorie zelebriert, mag man sich nicht recht anfreunden. Eigentlich hätte Italien schon nach der schwachen Leistung gegen Australien die Koffer packen müssen und tatsächlich zeigten sie sich im Spiel gegen Deutschland streckenweise von ihrer stärksten Seite. Aber im Sport ist es wie in der Politik: Selten geht derjenige als Sieger vom Platz, der die Siegespalme sich auch redlich verdient hat. Andererseits: Diese WM hat es nicht verdient, so zu enden!Welch ein Kontrast dazu die respektable (von beiden Seiten) Partie vom Samstag in Stuttgart. Über die Parole "Stuttgart ist viel schöner als Berlin" kann man zwar im Lichte der architektonischen Narben, die die Ära Arnulf Klett der Schwabenmetropole geschlagen hat, geteilter Meinung sein, aber daß das einer Weltmeisterschaft wahrhaft würdige Endspiel zwischen Deutschland und Portugal ausgetragen wurde, das konzedieren selbst diejenigen, die sich ihre innere Beschaulichkeit nicht durch Kritik an fragwürdigen FIFA- und Schiedsrichter-Entscheidungen trüben lassen mögen. Einziger Schönheitsfehler waren die unberechtigten Pfiffe und Buhrufe deutscher Fans gegen den portugiesischen Nationalspieler Cristiano Ronaldo, die das Ergebnis einer beispiellosen, ja geradezu eliminatorischen Haßkampagne der yellow press auf der Insel sind. Ronaldo wird die Schuld am Ausscheiden Englands gegeben, weil er ein eindeutiges und ziemlich brutales Foul des englischen Stürmers Rooney (bekanntermaßen kein Kind von Traurigkeit) beim Schiedsrichter beanstandete. Dieser vergab zu Recht die rote Karte, England verlor ohne seinen (neben Becks) wichtigsten Spieler das Viertelfinale und seit dem Vorfall schießt sich der Plebs haßerfüllt auf den vermeintlich schuldigen Ronaldo ein. Sogar einen Anschlag auf sein Haus in Manchester soll es in der Zwischenzeit gegeben haben, der bislang bei ManU verpflichtete Portugiese verspürt denn auch nicht die geringste Lust, länger in England zu verbleiben. Doch selbst wenn er Mitverantwortung für Englands zweifellos tragisches Ausscheiden trüge, so bleibt doch die Frage: Was geht das die deutschen Fans an? Als italienische Medien und hinter ihnen stehende einflußreiche Kreise (denen in diesen Tagen die Mühlen der Justiz schwer zu schaffen machen) aus einer deutsch-argentinischen Auseinandersetzung Honig saugen wollten und die Sache dazu benutzten, sich im Spiel gegen Deutschland einen Vorteil zu verschaffen, war hierzulande die gesamte Nation zu Recht empört über diese verwegene und durchschaubare Einmischung. Doch was geht bitteschön deutsche Fans dann eine englisch-portugiesische Streitigkeit an (außer, daß sie den skurrilen Nebeneffekt hatte, daß sich das erste Mal seit dem 2. Weltkrieg ganz England einen deutschen Sieg wünschte und selbst die um Nazi-Vergleiche sonst nie verlegene "SUN" sich derlei diesmal verkniff)?






Selten war die Rede vom "Weltmeister der Herzen" berechtigter und floskelunverdächtiger als bei diesem WM-Abschluß der deutschen Nationalelf! Die kleinen Pokale für unsere Überflieger Miroslav Klose und Lukas Podolski beweisen das genauso wie die bis zur letzten Minute anhaltend positive Grundstimmung, die Emotionen freisetzte, die ich diesem Land nicht zugetraut hätte. Ich hoffe, manches davon läßt sich in Flaschen abfüllen und bei Bedarf wieder herauslassen, wenn mal wieder die deutsche Depri zurückzukehren sich erkühnen sollte. Schön auch, daß ich zum ersten mal seit ich vor 16 Jahren dieser hanswurstigen Canossa-Republik per "Einigungsvertrag" zugeteilt wurde (einen Aufnahmeantrag habe ich nie gestellt!) halbwegs normale Menschen erleben durfte, die sich nicht mehr nur in neurotischer Manier als zwangskollektivistische Schuld-, Scham-, Sühne-, und selbstverständlich Zahlungsgemeinschaft verstehen wollte. Da ist wohl ein Knoten geplatzt! Man sollte bitte nicht vergessen, daß Margaret Thatcher, Vaclav Klaus und Christoph Blocher immer ihre radikal-liberale Roßkur, mit der sie ihre jeweiligen Länder fit machten (oder machen wollten, manches ist da noch im Fluß) für die Globalisierung stets geschickt mit einem patriotischen Zuckerguß für die breite Masse genießbar zu machen versuchten. Man könnte dieses Konzept auch in libertären Kreisen, leicht variiert auch einmal unter "compassionate libertarianism" diskutieren. Denn die fruchtlose Debatte, ob nationale Zusammengehörigkeitsmythen nun berechtigt sind oder nicht, braucht nicht immer wieder aufgewärmt zu werden; viel entscheidender wird sein, ob die Freunde der Freiheit es verstehen werden, diese Mythen in Zukunft in ihrem Sinne positiv für sich zu besetzen. Da kann ein erfreulich entspannteres Verhältnis der Deutschen zu ihrer nationalen Identität (die freilich bei einem geistig gesunden Individuum eine Identität unter vielen bleiben muß) nur helfen, sich den Zumutungen und Chancen der Freiheit zu stellen.

Noch einmal: Der historische "Nationalliberalismus" war ein Fehler (und z.T. sogar eine Lumpenideologie, wenn man sich das Erbe der Naumänner einmal genauer betrachtet), aber ihn jetzt durch einen überspannten und sterilen, teilweise sogar rabiaten "Antinationalliberalismus" ersetzen zu wollen, wie das wohl der unausgesprochene Konsens der "westlichen" Blogger zu sein scheint, hieße nichts anderes, als auf einen Narren einen anderthalben zu setzen!

No comments: