Friday, November 04, 2005

Sind Parteien korrupte Organisationen?

Diese Frage stellte unlängst einer, der die Antwort kennt:

8. Speyerer Demokratietagung
Korruption

Sind Parteien korrupte Organisationen?
Dr. Fritz Goergen

Mein Thema lautet: „Sind Parteien korrupte Organisationen?“ Meine Antwort ist nicht nur als Provokation gemeint: Das ist ihr Wesen.

Bernardo Provenzano vom Clan der Corleonesi gilt heute als alleiniger „Pate“ der „Cosa Nostra“. Ein Foto der Polizei von Corleone aus dem Jahr 1958 ist das einzige Bild des 1933 geborenen. Es dokumentiert seinen Start als Käsedieb. Mit diesem Foto kann ihn trotz modernster Computersimulation niemand identifizieren. Seit 42 Jahren lebt er im Untergrund: also unerkannt. Generalstaatsanwalt Piero Grasso beobachtet seit langem, „wie sich praktisch unter unseren Augen ein Wandel der Cosa Nostra zu einer Cosa Nuova vollzieht, der es dabei vor allem darum geht, sich die Institutionen gefügig zu machen.“

Don Bernardo hat der Mafia eine neue Strategie gegeben. Ihr Ziel: die Kontrolle über den Einsatz öffentlicher Gelder. Hauptinstrument: die Besetzung von Positionen in Banken und Investmentgesellschaften, in der Verwaltung von Krankenhäusern und Kommunen, in Justiz und Polizei – sowie von politischen Ämtern jeder Art.

Was das mit unseren politischen Parteien zu tun hat? Sie haben die Kontrolle über den Einsatz öffentlicher Mittel. Nun, werden Sie sagen, das gehört zu den legalen und legitimen Aufgaben von Politik. Gegen diesen Einwand setze ich eine These, auf die ich am Schluss zurückkomme: Je mehr öffentliche Mittel, desto mehr Korruption.

In diesen Tagen und Wochen der Koalitionsverhandlungen zwischen CDU, CSU und SPD sticht besonders ins Auge: Politik als Basar des Stimmenkaufs. Da geht es nicht um die Sache der Allgemeinheit, sondern um Cosa Nostra, unsere Sache.

Ich springe in der Zeitachse zurück. Meine erste Begegnung mit dem Thema öffentliche Gelder machte ich 1967 beim Verband Deutscher Studentenschaften (VDS). Und lernte schnell, dass es sich so bei allen Jugendorganisationen verhielt. Die Teilnehmer von Seminaren füllten mehrere Teilnehmerlisten aus. Eine für die tatsächliche Veranstaltung – und mehrere für fiktive. Der Unwissende wurde ohne Umschweife aufgeklärt. So „erwirtschafte“ man die fehlenden Eigenmittel. Denn der Zuschussgeber leiste, wie sein Name ja schon ausdrücke, nur Zuschüsse. Zuschüsse wozu? Na, zu Eigenmitteln. Da der Zuschuss-Geber aber wisse, dass die Zuschuss-Empfänger über keine nennenswerten Eigenmittel verfügten, drücke er beide Augen zu. Denn nur aus Eigenmitteln dürfen laufende Kosten getragen werden: also die Personal- und Infrastrukturaufgaben. Die Zuschüsse sind Projektmittel und wie jedes Projekt zeitlich befristet. Übrigens: Die politischen Stiftungen und Vertriebenen-Verbänden haben es einfacher. Sie erhalten vom Bundesminister des Innern „Globalzuschüsse“ – als Eigenmittel.

Was sich für manche vielleicht nur wie Verwaltungschinesisch anhört, erweist sich in der Wirklichkeit von unzähligen Organisationen weit hinaus über den Bereich der Politik als stilbildend für das Verhältnis von Bürger und Staat. Ich sollte besser sagen: als miss-stilbildend.

Eine unausgesprochene Kumpanei sagt, wir tun so, als hielten wir uns an die Vorschriften. Wer so auf seine Reise ins öffentliche Leben geschickt wird, lernt in kleinen (und später immer größeren) Dosen: beim Einsatz von öffentlichen Mitteln ist Tricksen Trumpf. Ja, in den Organisationen wird den Obertricksern besonderer Respekt entgegen gebracht. Bis zum „Alles geht“ sind es dann nur noch graduelle Schritte.

In meinem Buch über die FDP[1] erzähle ich mehr über die pathologische Systemkrankheit, als die Zeit hier erlaubt. Erinnern will ich nur an zwei Ereignisse, die mir nachgehen. Weil sie im Kern folgenlos geblieben sind. Bei beiden geht es um illegale Parteienfinanzierung.

Die Flick-Affäre stand noch nicht auf der Tagesordnung, als mir FDP-Bundesschatzmeister und hessischer Staatsminister für Wirtschaft, Technik und Verkehr, Heinz-Herbert Karry, den Problemkern der Parteienfinanzen erklärte: „Immer wenn es viel Geld braucht, spätestens vor Wahlkämpfen, kriegt man das nur von den wenigen, ganz Großen in der Wirtschaft. Die aber stellen eine Bedingung: Ich will nicht genannt sein. Und deshalb wird es nie eine legale Spendenregelung geben.“ Karry wurde ermordet. Von wem ist bis heute ungeklärt. Bei Beginn des Flick-Prozesses zitierten manche Kenner Shaespeare: „Dieser Mortimer starb euch sehr gelegen.“

Ich erinnere mich gut, wie Otto Graf Lambsdorff, Landesschatzmeister der FDP in Nordrhein-Westfalen (die stets dramatisch mehr Geld hatte als die Bundes-FDP), einen jungen Mitarbeiter des Bundesschatzmeisters abkanzelte, der ihm höflich und sachlich fundiert erklärte, weshalb die Methode des Geldtransfers von Industrie und Wirtschaft über die „Staatsbürgerliche Vereinigung“ an die Parteien nicht mehr lange gut gehen könne. Warum er das tat? Wer Geld für Parteien managt, verfügt über Macht, sehr viel Macht. Ginge das alles ganz offen und ohne Geheimnisse vor sich, versiegte diese Machtquelle. Aus der, wie wir wissen, längst nicht alles in den Kassen der Parteien landet.

Dass in meinen Ausführungen die FDP so oft vorkommt, liegt nicht daran, dass ich meiner ehemaligen Partei besonders viel Abneigung entgegenbrächte. Ich kenne eben diese Partei so in- und auswendig wie keine andere. Vieles gilt pars pro toto.

Alles was direkt nach dem Flickprozess und später an der gesetzlichen Parteienfinanzierung geändert worden ist, hat an ihrem Kern nichts geändert. Beweisen kann ich das nicht. Aber der Fall Möllemann begründete – vorläufig zuletzt - einen schweren Anfangsverdacht. Die eigene Parteiführung erkannte glasklar, wie sie ihren Plagegeist aus Münster endlich zur Strecke bringen kann: Wegen der Finanzierungsart seines berühmt-berüchtigten Flugblattes, nicht wegen seines Inhaltes, das die einen anti-israelisch, die anderen antisemitisch nannten. In der Wirkung war er beides.

Daraus ergeben sich zwei Fragen. Sie zu stellen bedeutet zugleich, sie zu beantworten.
Wie kamen FDP-Bundesschatzmeister Rexrodt und seine Leute Möllemann über Nacht auf die Finanzschliche, wenn sie diese nicht schon längst kannten?

Warum folgte dieser Finanzaffäre nicht einmal die sonst immer unausweichliche Forderung der anderen Parteien nach einer parlamentarischen Untersuchung – warum wurden nun nicht alle Rechenschaftsberichte in gleicher Weise geprüft?

20 Jahre nach der Flick-Affäre lautet meine These: In der illegalen Parteienfinanzierung haben sich allenfalls die Wege geändert.

Das zweite Ereignis, das mir nachgeht, ist die Klage der GRÜNEN gegen die Gewährung der Globalmittel an die politischen Stiftungen vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie hatte sich direkt aus der Flick-Affäre entwickelt, weil erhebliche Summen für die Parteien nicht an sie direkt, sondern indirekt an ihre Stiftungen gegangen waren. Wie das Leben so spielt. Heute gehört Otto Schily, der seine damalige Partei als Anwalt sehr effektiv vertrat, ebenso der SPD an wie Günter Verheugen. Der damals Generalsekretär der FDP war und als Vorsitzender der Geschäftsführung der Friedrich-Naumann-Stiftung die Quittungen für die Spenden-Millionen von Flick blanko unterschrieb. Warum blanko lernte ich auch erst später. Flick entschied immer erst am Jahresende, welcher Konzernteil die Spende in seine Bilanz schrieb. Steuermanagement nennt man das. Es illustriert sehr schön: Am Ende zahlen die Steuerzahler.

Das Bundesverfassungsgericht wies die Klage der Grünen zwar ab. Aber die Begründung enthielt eine lange Liste, was die Stiftungen zu Gunsten ihrer Parteien nicht (mehr) tun dürfen. Das hielt nicht lange. Die Grenzen zwischen Stiftungen und Parteien sind nach wie vor osmotisch.

Und die Fraktionen? Das große Geld im Kosmos Parteien haben inzwischen sie. Ohne in die Details zu gehen: Parteinützliche Aktivitäten zu Hauf. Das gleiche gilt für Regierungen und ihre Mitglieder auf allen Ebenen. Die Öffentlichkeitskampagnen von Regierungen wirken auf die Öffentlichkeit doch nicht Parteienneutral! Damit nähere ich mich einem verminten Gelände. Meine diesbezügliche These:

Die wirklichen Synergien der Parteienfinanzierung bleiben verborgen. Und erst recht, für wen persönlich wo wie viel abfällt.

Der Vorläufer hatte zu Recht so geheißen. 1976 zog die SPD in den Neubau der „SPD-Baracke“ in Bonn ein. Mein täglicher Weg zur Arbeit führte an ihr vorbei. Deshalb stach mir früher ins Auge, dass Stil und Materialien dem zur gleichen Zeit vollendeten Neubau des Kanzleramtes glich wie ein Ei dem anderen. Das Bonmot unter Bonner Journalisten lautete wenig überraschend: „Ein Schelm, der Böses dabei denkt.“ Zum Thema machte es niemand. - Meine Unterthese zur eben formulierten wird Sie deshalb nicht überraschen: Die Medien sind Teil des Schweigekartells. Einige wenige Leyendeckers können das nicht ändern. Was ihre Verdienste in keiner Weise schmälert.

Vom Augenschein von Baracke und Kanzleramt in Bonn führt der Fingerzeig zu den vielen Aufträgen, die von Parteien, Politikern und von Ministerien, nachgeordneten Behörden sowie im undurchdringlichen Dschungel der gesellschaftlichen Großorganisationen vergeben werden. Wem da auf welche Weise was zu Gute kommt, würde auf Seiten der Medien nicht nur wirkliche Unabhängigkeit und viel persönlichen Mut verlangen, sondern auch kräftige Investitionen der Verlage in die Recherche-Kapazitäten. Davon kann in der real existierenden Medienwelt keine Rede sein. Im Gegenteil. Wo Massenmedien das Tempo des öffentlichen Lebens immer noch mehr anheizen, geht es nur noch um das, was Zyniker „Gestaltung des Werbeumfeldes“ nennen.

Dabei gäbe es so viel zu recherchieren: Wenn Werbe- und PR-Agenturen sowie solche für Unternehmensberatung heute für die Partei X und morgen für ihre Regierung arbeiten, ist das weder illegal noch illegitim. Das würde es, wenn sich herausstellte, dass

- Rechnungen für gleiche Dienstleistungen da und dort unterschiedlich hoch oder ganz ausfielen,
- Rechnungen an Dritte ohne erkennbare Gegenleistungen bezahlt würden,
- Leistungen für Dritte – etwa Mandats- und Funktionsträger und/oder deren Mitarbeiter – sich als auffallend günstig oder kostenfrei herausstellten.

Jede Phantasie wird garantiert von der Wirklichkeit übertroffen.

Ich könnte noch lange weiter erzählen und mir A, B, C zusammenreimen. Was übrigens auch alle könnten, die weniger Zeit als ich im Inneren unseres Politikbetriebes verbracht haben. Hier und heute will ich aber das verlassen, was ich den ersten Grad der Korruption nennen möchte. Er ist bei weitem nicht der schlimmste.
Der zweite Grad läuft ganz und gar verborgen ab. „Nicht einmal ich“, sagte mir ein hochrangiger Politiker, „weiß, in welchem Wörtchen oder Nebensätzchen steckt, was für diese Branche, jenes Unternehmen, diesen Verband, jene Gewerkschaft, entscheidend ist.“ Nicht einmal die kundigsten Abgeordneten in den Fachausschüssen erkennen in 90 % - oder mehr der Fälle, welches Lobby-Ei ihnen die Ministerialbürokratie als Beratungsvorlage liefert. Vielen Abteilungsleitern geht es nicht anders, wissen Kundige.

Jene seltene Spezies Parlamentarier, denen ein solches Stück doch gelungen ist, erzählt davon im Ruhestand – manchmal. Dann beginnt man zu ahnen, was da unter der Oberfläche ruht.
Wirklich wirksame Lobby läuft auf der untersten Hierarchieebene. In Brüssel gründet der ganze breite Mittelstand von Gastronomie auf dem soliden Fundament unzähliger Lunchs und Dinners der Damen und Herren auf beiden Seiten des Tisches. Die verbreitete Klage, zwischen 13 und 16 Uhr würde in der Kommission niemand arbeiten, ist unbegründet. Dass kaum wer ans Telefon geht, heißt doch nicht, dass die Leute untätig wären. - Spaß beiseite. Und eine These: Je weiter unten in der Hierarchie, desto wirksamer ist Korruption und desto kostengünstiger fällt sie aus. Der Politik kommt danach die Rolle zu, nach dem bekannt werden von erschlichenen Privilegien ihre Abschaffung zu verhindern: auf dem Basar des Stimmenkaufs.

Beim dritten Grad der Korruption wird es ganz bitter ernst. Und sehr, sehr traurig. Ich bin bei der mentalen Korruption. Und zugleich: bei der Droge Politik. Wer ihr wieder entrinnt, sollte über keinen Preis klagen. Weil dann der Mensch wieder zum Vorschein kommt.

Zuerst zu ihrer Jugendorganisation, den „Deutschen Jungdemokraten“, und dann zur FDP kam ich wegen ihrer fortschrittlichen Bildungspolitik und wegen ihrer Ostpolitik. Einfacher: zu Zeiten der großen Koalition 1966 erschien nicht nur mir die FDP als die einzige moderne Partei. Wie wenig sie das war, merkte ich früh. Aber zusammen mit Gleichgesinnten war ich überzeugt: Die Tage dieser alten Säcke sind gezählt, morgen führen wir den Verein. Den Oberen fallen solche Heißsporne schnell auf. Sie kriegen diese und jene Chance. Das ist die Einstiegsdroge. Lassen sie in ihrem Neuerungsdrang nicht nach, werden sie bald kaltgestellt. Übrig bleiben jene, denen Karriere vor Überzeugung geht. Die Einschleifmühle Parteien ist gnadenlos.

Ab und zu tritt dieses Wirkungsraster vorübergehend außer Kraft: in Zeiten großer Umbrüche. Beim Koalitionswechsel der FDP von der Union zur SPD 1969 und beim umgekehrten 1982. Zwischen 1969 und 1971 räumten „Nationalliberale“ die mittleren und oberen Führungsränge, so dass „Linksliberale“ und „Sozialliberale“ in die freien Plätze einrücken konnten. Das gleiche geschah seitenverkehrt 1982. Die Besten unter den Linken gingen. Die Generation Gerhardt/Möllemann füllte die Lücken. Kampflos bezogen Westerwelle und die anderen Gründer der „Jungen Liberalen“ ihre Startpositionen. In anderen Parteien vollzog sich zu anderen Zeitpunkten Ähnliches.

Danach setzte der Anpassungsmechanismus nicht nur wieder ein. Ja, er verschärfte sich. Daran ist ursächlich das Bundesverfassungsgericht schuld. In den 60er Jahren hat es mit dem historischen Urteil zu den Finanzverhältnisse der Abgeordneten den Grundstein für das gelegt, was ich Verbeamtung der Politik nenne. Gelegentlich leiste ich mir bei der Beschreibung der Struktur des Berufsbeamtentums diese: Einfacher Dienst, mittlerer, gehobener, höherer – und dann die Parlamentarier als allerhöchster Dienst. Der letztere ist der einzige, für den keine Vorkenntnisse verlangt werden.

An diesem Spott meine ich eines sehr ernst. Der Weg zum gewählten Abgeordneten führt immer öfter am wirklichen Leben vorbei. Im Studium Mitarbeiter von Parlamentariern ist hilfreich, die erste Sprosse der Karriereleiter zu meistern: in den Orts- oder Kreisvorstand. Das verhilft zum Delegiertenmandat. Wer eine Lehre macht oder voll studiert, hat weder die Zeit, noch die Kraft - und auch nicht das Abgeordnetenbüro als kostenfreie persönliche Schaltstätte. Ob er und sie dann überhaupt fertig studieren, wird zweitrangig. Es geht in den Bezirks- und/oder Landesvorstand von Jugendverband und/oder Partei. Zum Delegierten auf Landes- und/oder Bundesebene. Lange in Sitzungen ausharren sticht inhaltliches Engagement aus. Mitkungeln sticht mitdiskutieren. Eine Zeit lang kann man beides verbinden. Ein Stipendium der nahestehenden politischen Stiftung passt auch in dieses Set.

Jedenfalls gelangen immer mehr Nachwuchspolitiker aller Parteien in Amt und Mandat, ohne die Lebenswelt des Volkes kennen gelernt zu haben. Ich höre, das sei heutzutage bei Gewerkschaftssekretären und anderen Verbandsfunktionären nicht anders. Um so schlimmer. Unsere Strukturen züchten eine Funktionärsschicht, die fern der Welt jener lebt, die zu dem beitragen, was die Ökonomen Wertschöpfung nennen. Die Amerikaner haben für diese Kluft eine böse Formel: „makers and takers“.

Das kann auf die Dauer nicht gut gehen. Tut es schon heute nicht mehr. Aber auch hier versagen die einzigen, die Zusammenhänge wirkungsvoll aufzeigen könnten: die Medien. Für sie ist erst der offenkundige Skandal ein Thema. Wenn einzelne mit ihren Privilegien und Versuchungen so umgegangen sind, dass es nicht mehr unter der Decke bleibt. Meist, weil Konkurrenten aus den eigenen Reihen damit den Weg für sich selbst freischießen.

Dabei beobachte ich sorgenvoll einen gefährlichen Trend: Früher wurden Politiker durch Skandale gestürzt. Heute werfen ihnen die Medien Skandale nach, wenn sie schon stürzen. Aber das ist eine eigene Geschichte. Hier nur eine Frage: Die Zahl der Hauptstadt-Journalisten hat sich beim Umzug von Bonn nach Berlin verdoppelt. Hat sich ihre kritische Leistungsfähigkeit halbiert?

Korruption an und für sich ist unvermeidlich – wie andere Formen von Diebstahl auch. Ja, im Ergebnis ist Korruption Diebstahl. Denn jemand muss die Rechnung ja zahlen – und zwar nie aus der eigenen Tasche.

Womit ich bei meiner These vom Anfang bin: Je mehr öffentliche Mittel, desto mehr Korruption.
Nachdem ich nun schon eine Weile lebe, habe ich gelernt: Wir werden die Menschen nicht ändern. Führen wir sie also möglichst wenig in Versuchung. Die beste Prävention von Diebstahl ist, die Gelegenheiten zu verringern. Nicht anders verhält es sich mit der Korruption.

Folgen Sie mir für einen Moment ins Reich meiner politischen Träume. In diesem haben wir aus einigen Tatsachen Konsequenzen gezogen. Aus der Tatsache, dass unsere Parlamente jahraus jahrein Gesetze verabschieden, die in Wahrheit Verwaltungsvorschriften sind – also Verordnungen. Deshalb erlässt in meinem Traum Verordnungen die Verwaltung. Sie wird von einer starken Regierung geführt. Ihr Chef wird direkt gewählt. Auf sechs Jahre. Wiederwahl ist nicht möglich. In den Parlamenten werden politische Richtungsentscheidungen gefällt. Da das höchstens zwei Mal im Jahr vorkommt, sind unsere direkt gewählten Abgeordneten ehrenamtlich tätig. (In meinem Traum haben wir natürlich ein Mehrheitswahlrecht.) Mit einer Tagungswoche im Quartal kommen sie leicht hin. Ihr Verdienstausfall wird ersetzt. Das tritt an die Stelle der sogenannten Diäten, Versorgungsprivilegien usw. Gleichzeitig hat sich in der Staat auf seine modernen Kernaufgaben konzentriert:

- die Herrschaft des Rechts und seiner Durchsetzung
- die innere und äußere Sicherheit
- eine bedingungslose Grundversorgung für alle aus Steuermitteln
- eine zeitgemäße Infrastruktur für alle aus Steuermitteln, erbracht durch private Dienstleister im Auftrag der Verwaltung: vor allem für eine Vielfalt des lebenslangen Lernens – dem Standortfaktor Nr. 1.

Und wissen Sie, was dann passiert? Abgeordnete werden nicht mehr bestochen. Warum? Weil sie für die Bestecher nichts mehr tun können. Wie das mit der Beziehungskiste von Bürokratie und Lobby ausschaut, habe ich beschrieben. Wo aber wenige allgemeine Regeln an die Stelle des Mikromanagements getreten sind, wird auch die Verwaltung nicht mehr in Versuchung geführt. Außerdem können die Parlamente nicht nur die Regierung kontrollieren, sondern auch die Bürokratie. Sie sind nicht mehr ihr Legalisierungsapparat. Sie leben in der wirklichen Welt. Und ihr Geld verdienen sie nicht im Beruf Politik, sondern im richtigen Leben.

Sie halten das für illusionär? Im Moment ich auch. Aber vergessen Sie nicht: Morgen ist heute gestern. Wer etwas ändern will, muss wissen in welche Richtung, wenn es besser werden soll. Zwischen dem Ist von heute und dem Soll von übermorgen gibt es viel Raum.
Der Parlamentspräsident im britischen Unterhaus sitzt traditionell auf einem Sack voller Wolle. Nicht um seiner Bequemlichkeit willen, sondern als Symbol für die Interessen von Handel und Wirtschaft, die das Parlament beeinflussen - als ständige Mahnung vor dem Basar des Stimmenkaufs.

Verringern wir die Gelegenheiten. Das hilft mehr gegen Korruption als alles andere. Geben wir den Menschen möglichst wenig Macht über Menschen. Denn Macht korrumpiert.



[1] Skandal FDP. Selbstdarsteller und Geschäftemacher zerstören eine politische Idee. BrunoMedia Buchverlag. Köln 2004. ISBN 3-9809607-8-1.

1 comment:

Herfried said...

Was anders sind also Reiche, wenn ihnen Gerechtigkeit fehlt, als große Räuberbanden? Sind doch auch Räuberbanden nichts anders als kleine Reiche. Auch da ist eine Schar von Menschen, die unter Befehl eines Anführers steht, sich durch Verabredung zu einer Gemeinschaft zusammenschließt und nach fester Übereinkunft die Beute teilt. Wenn dies üble Gebilde durch Zuzug verkommener Menschen so ins Große wächst, daß Ortschaften besetzt, Niederlassungen gegründet, Städte erobert, Völker unterworfen werden, nimmt es ohne weiteres den Namen Reich an, den ihm offenkundig nicht etwa hingeschwundene Habgier, sondern erlangte Straflosigkeit erwirbt. Treffend und wahrheitsgemäß war darum die Antwort, die einst ein aufgegriffener Seeräuber Alexander dem Großen gab. Denn als der König den Mann fragte, was ihm einfalle, daß er das Meer unsicher mache, erwiderte er mit freimütigem Trotz: Und was fällt dir ein, daß du das Erdreich unsicher machst? Freilich, weil ich's mit einem kleinen Fahrzeug tue, heiße ich Räuber. Du tust's mit einer großen Flotte und heißt Imperator
Augustinus

Auch Parteien sind "kleine Reiche" ...