Tuesday, July 11, 2006

Weltmeisterschaft der Emotionen


1 comment:

Herfried said...

Doch was bleibt? Viel Angie, wenig Klinsi!

Siehe auch M&M:

Kolumne
Kaum Klinsi, viel Angie
Nach der WM-Euphorie: Der Glaube an die Politik und an den Fußball.
Von Dirk Maxeiner; Michael Miersch

Der Schlusspfiff ist erst einige Wochen her, und doch scheint die Fußball-Weltmeisterschaft schon wieder sehr weit weg. Geblieben sind die klassenübergreifende Unpeinlichkeit schwarz-rot-goldenen Dekors und der Begriff "entspannter Patriotismus". Die Formulierung ist im Dunstkreis spät heimkehrender Feuilletonisten entstanden, die die weltmeisterliche Stimmungslage der Menschen zu einer nationalen Renaissance hochschrieben. Auch Politiker kriegten sich vor Begeisterung kaum ein. Doch die Hoffnung, die positiven Energien auf die eigenen politischen Mühlen lenken zu können, beruhte auf einem groben Missverständnis.

Ein Volk, das zu 100 Prozent hinter seiner Fußballmannschaft steht, aber in vielen Regionen nur noch zu 50 Prozent zur Wahl seiner Regierungsmannschaft erscheint, hat den Glauben an Politik weitgehend verloren. Wenn der Fußballwochen-Patriotismus der Menschen denn eine Botschaft an die politische Klasse beinhaltete, dann war dies ein ganz entspanntes "Ihr müsst leider draußen bleiben". Motto: Patriotismus können wir selbst, wenn es sein muss auch für Ghana, aber gewiss nicht für euch.

Die stille Hoffnung, Angela Merkel möge uns den Klinsi machen, verröchelte endgültig mit den ersten Zügen der Gesundheitsreform. Stattdessen macht die Kanzlerin dem Land weiterhin den Mayer-Vorfelder. Ein nach wenigen Monaten ausgelutschtes Kabinett von Funktionsträgern hat sich darauf verständigt, bis zum Ende der Legislaturperiode eine gemeinsame Dienstwagenburg zu formieren.

Es ist noch gar nicht lange her, da verband sich mit Angela Merkels Kanzlerkandidatur der Gedanke an eine Frau, die Deutschlands schwer verkrustete Verhältnisse aufbrechen könnte, wie einst Margaret Thatcher in Großbritannien. Inzwischen drängt sich ein ganz anderer Vergleich auf. Erinnert sich jemand an Jim Callaghan? Das war der nette, freundliche, glücklose Vorgänger von Mrs. Thatcher. Der leutselige Labour-Premier hielt grundsätzliche strukturelle Reformen für politisch nicht durchsetzbar und zielte darauf ab, die Verhältnisse irgendwie mit dem wirtschaftlichen Abstieg des Landes zu arrangieren. Weil man nicht ernsthaft daran glaubte, die Krise lösen zu können, beschränkte man sich darauf, sie zu "managen". Und nach genau diesem Defätismus riecht bedauerlicherweise fast alles, was die derzeitige große Koalition ins Werk setzt.

Jürgen Klinsmann und seine Truppe wurden auch deshalb als so befreiend empfunden, weil sie den Menschen das genaue Antiprogramm boten. Nun, Klinsi ist heim nach Kalifornien, und doch gibt es seismische Zeichen, dass er uns mehr hinterlassen haben könnte als einen dritten Platz bei der Weltmeisterschaft. So hat uns vergangene Woche eine Zeitungsanzeige angenehm berührt. Ein Reifenhersteller warb darin mit dem Slogan "Sie wollen Fahrradreifen made in Germany?" Die Anzeige dominierten vier robuste Damen mittleren bis höheren Alters, die ihre Arme sehr entschlossen auf die Hüften stützen. Alle vier werden persönlich mit Namen aufgeführt, denn die Reifen ("deutsche Technik seit 1871") sind "hand-made" und sollen robuster und sicherer sein als die der Konkurrenz. Wir lernen daraus, dass in Deutschland ältere Arbeitnehmer offensichtlich sogar noch Fahrradreifen konkurrenzfähig produzieren können, wenn das richtige Konzept dahintersteht. Vor allem aber strahlt das Ganze auf sympathische Weise wieder ein bisschen mehr Glaube und Vertrauen zu sich selbst und die eigenen Fähigkeiten aus. Ein Hauch von Klinsi weht durch die Werkshalle. Und das ist allemal besser, als auf Angie zu warten.

Artikel erschienen am Fr, 4. August 2006 in der WELT